Im Bann der Wüste
Hand.
Der Tulwar eines Kriegshäuptlings blitzte hinter der Hohefaust auf, trennte den Kopf des Mannes sauber von seinen Schultern und ließ ihn durch die Luft davonwirbeln. Das Schlachtross machte vor Schreck einen Satz und brach durch den Ring der Umstehenden. Das wunderbare Tier galoppierte die Senke hinunter zwischen die unbewaffneten Soldaten, trug seine kopflose Last in ihre Mitte. Duiker konnte feststellen, dass der Leichnam der Hohefaust mit einer Eleganz im Sattel saß, die der Mann zu Lebzeiten niemals besessen hatte; er pendelte von einer Seite zur anderen, bis Hände sich reckten, um das erschrockene Pferd festzuhalten, und Pormquals Leiche nach einer Seite rutschte, wo sie in wartende Arme fiel.
Möglicherweise war es auch nur Einbildung, doch Duiker glaubte, das raue Lachen eines Gottes zu hören.
Es herrschte kein Mangel an Nägeln, doch es dauerte trotzdem anderthalb Tage, bis auch der letzte schreiende Gefangene an die letzte der überfüllten Zedern genagelt war, die den Arenweg säumten.
Zehntausend tote und sterbende Malazaner starrten auf die breite, hervorragend konstruierte und gebaute Imperiale Straße hinab, mit Augen, die nichts mehr sahen, oder Augen, die nicht mehr begriffen, was sie sahen – es machte keinen Unterschied.
Duiker war der letzte, dem die rostigen Nägel durch Handgelenke und Oberarme getrieben wurden, um ihn hoch am blutüberströmten Stamm festzumachen. Weitere Nägel wurden durch seine Knöchel und die äußeren Muskeln seiner Oberschenkel gehämmert.
Der Schmerz war schlimmer als alles, was der Historiker je erlebt hatte. Doch womöglich noch schlimmer war das Wissen, dass dieser Schmerz ihn auf seiner ganzen letzten Reise begleiten würde, bis hinab in die eventuelle Bewusstlosigkeit. Und mit ihm – ein weiteres Trauma – waren auch die Bilder in sein Inneres eingebrannt: fast vierzig Stunden lang war er zu Fuß den Arenweg entlanggetrieben worden, hatte bei jedem einzelnen der zehntausend Soldaten zusehen müssen, wie er ein Teil dieser Massen-Kreuzigung wurde; wie er Teil einer Kette des Leidens wurde, die sich zehn Meilen weit erstreckte, und jedes Kettenglied bestand aus Dutzenden von Männern und Frauen, die an jeden Baum genagelt worden waren, an jedes freie Fleckchen, das man an den großen, breiten Stämmen gefunden hatte.
Als es schließlich so weit war, dass er als letzter Soldat die Kette schließen sollte, war der Historiker weit über jeden Schock hinaus – er wurde zu dem Baum und auf das Gerüst gezerrt, gegen die rissige Rinde gedrückt, man zwang ihm die Arme nach außen, er spürte den kühlen Biss der eisernen Nägel, die gegen seine Haut gedrückt wurden, und dann, als der Hammer herabschwang, folgte jene Explosion von Schmerzen, die ihn aufheulen ließ, ihn besudelt und sich windend zurückließ. Doch der schlimmste Schmerz kam, als das Gerüst unter ihm weggezogen wurde und sein ganzes Gewicht an den Nägeln hing, die durch sein Fleisch getrieben worden waren. Bis zu jenem Augenblick hatte er tatsächlich geglaubt, er wäre so weit in die Agonie vorgedrungen, wie es einem Menschen überhaupt nur möglich war.
Er hatte sich geirrt.
Nach einer Zeitspanne, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, als der unablässige Aufschrei seines gequälten Fleisches alles andere in seinem Innern ertränkt hatte, kam eine kühle, ruhige Klarheit über ihn, und wirre, hierhin und dorthin wandernde Gedanken stiegen in seinem schwindenden Bewusstsein auf.
Der Geist des Jaghut … warum muss ich jetzt an ihn denken? An seinen ewig währenden Kummer? Was bedeutet er für mich? Was bedeutet irgendjemand oder irgendetwas jetzt noch für mich? Schließlich wartet das Tor des Vermummten auf mich – die Zeit für Erinnerungen, für Bedauern und Einsichten ist vorbei. Das musst du jetzt endlich begreifen, alter Mann. Deine namenlose Seesoldatin erwartet dich, und Bult und Korporal List, und Lull und Sulwar und Schwätzer. Und wahrscheinlich auch Kulp und Heboric. Du verlässt jetzt einen Ort voller Fremder und gehst zu einem Ort voller Kameraden, voller Freunde.
So behaupten es die Priester des Vermummten.
Es ist das letzte Geschenk. Ich bin fertig mit dieser Welt, denn ich bin allein in ihr. Allein.
Ein geisterhaftes Gesicht mit mächtigen Hauern erschien vor seinem geistigen Auge, und obwohl er es noch nie zuvor gesehen hatte, wusste er, dass der Jaghut ihn gefunden hatte. Tief empfundenes Mitleid stand in den unmenschlichen Augen der Kreatur, ein
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