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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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die drei Magier das, was vor ihnen lag mit ihren erweiterten Sinnen erforschten. Sie erforschten es – und zuckten zurück. L’oric als Erster, dann Bidithal und schließlich Febryl; aus drei Quellen hallten Erschrecken und Entsetzen wider.
    ’Wenn ich wollte, könnte ich das Gleiche tun – mit unsichtbaren Fingern vorausgreifen und berühren, was da vor uns liegt. Doch sie würde es nicht tun.
    »Ich kann deine Bestürzung spüren, Mädchen«, murmelte Heboric. »Fängst du jetzt endlich doch noch an, die Entscheidungen zu bereuen, die du getroffen hast?«
    Ob ich etwas bereue? Oh ja, ich bereue so manches, angefangen bei einem bösen Streit mit meiner Schwester, damals in Unta, eine schwesterliche Kabbelei, die viel zu weit gegangen ist. Ein verletztes Kind … das seine Schwester anklagt, ihre Eltern getötet zu haben. Zuerst ein Elternteil, dann den anderen. Erst Vater. Dann Mutter. Ein verletztes Kind, das jeden Grund zu lächeln verloren hatte. »Ich habe jetzt eine Tochter.«
    Sie spürte, wie er seine Aufmerksamkeit schlagartig auf sie konzentrierte, spürte, wie der alte Mann sich über den plötzlichen Themenwechsel wunderte, und wie er langsam – voller Kummer – verstand.
    »Und ich habe ihr einen Namen gegeben«, fuhr Sha’ik fort.
    »Den habe ich noch nicht gehört«, sagte der ehemalige Priester. Er sprach langsam und vorsichtig, als wären seine Worte Schritte auf dünnem, zerbrechlichem Eis.
    Sie nickte. Leoman und seine Kundschafter waren hinter der nächsten Hügelkette verschwunden. Ein dünner Rauchschleier wartete dort auf sie, und sie fragte sich, was dieses Vorzeichen wohl bedeuten mochte. »Sie spricht selten. Aber wenn sie es tut … sie kann gut mit Worten umgehen, Heboric. Und sie hat das Auge eines Dichters. In mancherlei Hinsicht ist sie so, wie ich vielleicht geworden wäre, wenn ich die Freiheit – «
    »Sie kann gut mit Worten umgehen, sagst du. Das ist ein Geschenk für dich, aber für sie kann es ebenso gut ein Fluch sein, und zwar einer, der sehr wenig mit Freiheit zu tun hat. Manche Menschen rufen bei anderen Ehrfurcht hervor, unabhängig davon, ob sie es wollen oder nicht. Solche Menschen werden meist sehr einsam. Innerlich einsam, Sha’ik.«
    Leoman tauchte weiter vorn auf der Hügelkuppe wieder auf. Er zügelte sein Pferd. Er winkte ihnen nicht zu, dass sie sich schneller bewegen sollten – er sah einfach nur zu, wie Sha’ik ihre Armee voranführte.
    Einen Augenblick später erschien eine Reitergruppe auf dem Kamm neben dem Wüstenkrieger. Stammes-Standarten flatterten im Wind – Fremde. Zwei der Neuankömmlinge zogen Sha’iks Aufmerksamkeit auf sich. Sie waren immer noch zu weit entfernt, um ihre Gesichtszüge erkennen zu können, doch Sha’ik wusste auch so, wen sie da vor sich hatten: Kamist Reloe und Korbolo Dom.
    »Sie wird nicht allein sein«, sagte sie zu Heboric.
    »Dann solltest du keine Ehrfurcht verspüren«, erwiderte er. »Sie wird eher dazu neigen, die Dinge zu beobachten, statt an ihnen teilzuhaben. Alles was rätselhaft ist, führt zu einer solchen Distanz.«
    »Ich kann keine Ehrfurcht empfinden, Heboric«, sagte Sha’ik und lächelte in sich hinein.
    Sie näherten sich den wartenden Reitern. Die Aufmerksamkeit des ehemaligen Priesters war noch immer auf sie gerichtet, als sie ihre Pferde den sanften Hang hinauf lenkten.
    »Und«, fuhr sie fort, »ich kann Distanz verstehen. Sehr gut sogar.«
    »Du hast sie Felisin genannt, nicht wahr?«
    »Ja, das habe ich.« Sie wandte den Kopf, starrte in seine blinden Augen. »Es ist schließlich ein schöner Name, oder? Darin schwingt eine solche … Verheißung mit. Eine frische Unschuld, so eine, wie Eltern sie in ihrem Kind sehen, in den hellen, wissbegierigen Augen – «
    »Davon verstehe ich nichts«, sagte er.
    Sie sah die Tränen, die seine von Wind und Wetter gegerbten, tätowierten Wangen hinabrannen; ihre Bedeutung erschien ihr merkwürdig entrückt, doch sie verstand, dass seine Antwort keine Verurteilung war. Nur Verlust. »Oh, Heboric«, sagte sie. »Das ist keinen Kummer wert.«
    Hätte sie nur einen Augenblick länger nachgedacht, bevor sie die Worte aussprach, dann wäre ihr klar geworden, dass gerade diese Worte den alten Mann mehr als alle anderen brechen mussten. Er schien vor ihren Augen innerlich zusammenzufallen, sein Körper erschauerte. Sie streckte eine Hand aus, die er nicht sehen konnte, und hätte ihn beinahe berührt – doch dann zog sie sie zurück. Und wusste im gleichen

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