Im Bann der Wüste
Augenblick, da sie es tat, dass ein Augenblick des Heilens ungenutzt verstrichen war.
Ob ich etwas bereue? Viel. Unendlich viel.
»Sha’ik! Ich sehe die Göttin in Euren Augen!« Dieser triumphierende Ausruf kam von Kamist Reloe; sein Gesicht strahlte, obwohl es gleichzeitig von Anspannung verzerrt war. Sie beachtete den Magier nicht weiter, heftete ihren Blick stattdessen auf Korbolo Dom. Ein napanesisches Halbblut – er erinnert mich an meinen alten Hauslehrer, bis hin zu dem kühlen Hochmut in seinen Zügen. Nun, dieser Mann hier kann mich nichts lehren. Um die beiden Männer herum gruppierten sich die Kriegshäuptlinge der Stämme, die der Sache des Wirbelwinds gegenüber loyal waren. Ihre Gesichter wirkten irgendwie schockiert, fast von so etwas wie Entsetzen gezeichnet. Jetzt war noch ein weiterer Reiter zu sehen; er war in die Seidenroben eines Priesters gekleidet und saß voll Gleichmut auf einem Maultier. Dieser Mann schien als Einziger unbeeindruckt, und Sha’ik verspürte einen Schauer des Unbehagens.
Leoman hatte sein Pferd in einem kurzen Abstand zu der Gruppe angehalten. Sha’ik konnte spüren, dass es zwischen dem Wüstenkrieger und Korbolo Dom, der abtrünnigen Faust, bereits brodelte.
Mit Heboric an ihrer Seite erreichte sie die Kuppe des Hügels und konnte jetzt sehen, was sich dahinter befand. Direkt vor ihnen lag ein zerstörtes Dorf – ein Durcheinander aus verkohlten Häusern und Gebäuden, toten Pferden und toten Soldaten. Das aus Steinen erbaute Eingangsportal zum Arenweg war rauchgeschwärzt.
Die Straße erstreckte sich mit einem leichten Gefälle gen Süden. Die Bäume, die sie zu beiden Seiten säumten …
Sha’ik trieb ihr Pferd vorwärts. Heboric schloss sich ihr an, stumm im Sattel zusammengekauert, und trotz der Hitze noch immer zitternd. Leoman kam herangeritten, um sie auf der anderen Seite zu flankieren. Sie näherten sich dem Aren-Tor.
Die Gruppe zog stumm die Pferde herum, um ihnen zu folgen.
Kamist Reloe begann zu sprechen, und in seiner Stimme lag die Andeutung eines Zitterns. »Seht Ihr, was wir aus diesem stolzen Tor gemacht haben? Das Aren-Tor des malazanischen Imperiums ist nun das Tor des Vermummten, Seherin. Könnt Ihr die Bedeutung dieser Tat erkennen? Könnt Ihr – «
»Schweigt!«, grollte Korbolo Dom.
Ja, schweigt. Lasst das Schweigen diese Geschichte erzählen.
Sie durchquerten den kühlen Schatten, den der Torbogen auf die Straße warf, und kamen zum ersten Baum, zur ersten aufgeblähten, verfaulenden Leiche, die an den Stamm genagelt war. Sha’ik hielt an.
Leomans Kundschafter kamen in raschem Galopp herangesprengt. Wenige Augenblicke später waren sie da, zugehen die Pferde.
»Berichtet«, schnappte Leoman.
Vier blasse Gesichter waren ihnen zugewandt. Einer der Männer sagte: »Es wird nicht anders, Herr. Es geht so weiter, mehr als drei Längen weit – so weit wir sehen konnten. Es sind – es sind Tausende.«
Heboric zog sein Pferd herum, lenkte es näher an den vordersten Baum heran und blinzelte zu der nächsten Leiche hinauf.
Sha’ik schwieg wohl eine ganze Minute lang. Dann fragte sie, ohne sich umzudrehen: »Wo ist Eure Armee, Korbolo Dom?«
»Sie lagert in Sichtweite von Aren – «
»Dann ist es Euch also nicht gelungen, die Stadt einzunehmen?«
»Nein, Seherin, es ist uns nicht gelungen.«
»Und was ist mit Mandata Tavore?«
»Ihre Flotte hat die Bucht erreicht, Seherin.«
Was wirst du hieraus machen, Schwester?
»Die Narren haben sich ergeben«, sagte Korbolo Dom, und seine Stimme verriet seine Ungläubigkeit. »Auf Befehl von Hohefaust Pormqual. Das ist die neue Schwäche des Imperiums – gerade das, was früher eine Stärke gewesen ist: Diese Soldaten da haben dem Befehl gehorcht. Das Imperium hat seine großen Anführer verloren – «
»Wirklich?« Jetzt endlich schaute sie ihn an.
»Coltaine war der Letzte von ihnen, Seherin«, behauptete die abtrünnige Faust. »Diese neue Mandata ist noch unerfahren – eine Adlige, beim Vermummten! Wer erwartet sie in Aren? Wer wird sie beraten? Die Siebte existiert nicht mehr. Pormquals Armee existiert nicht mehr. Tavore verfügt über eine Armee aus Rekruten. Und sie sieht sich Streitmächten aus erfahrenen Soldaten gegenüber, die drei Mal so groß sind wie ihre. Die Imperatrix hat den Verstand verloren, Seherin, wenn sie wirklich glaubt, dass diese junge Adlige, dieser Emporkömmling, das Reich der Sieben Städte zurückerobern wird.«
Sie wandte sich von ihm ab und starrte
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