Im Bann des Falken
anders.
Verschollen muß noch längst nicht tot bedeuten.”
“Hier schon. Dann nämlich, wenn man von jemandem längere Zeit kern Lebenszeichen erhalten hat. In diesem Land gelten andere Maßstäbe als bei Ihnen, Bethany Lyon McGregor.”
Sie wollte erneut widersprechen, doch der Araber bedeutete ihr mit einer Handbewegung zu schweigen.
“Es ist nicht bekannt, was Ihrem Vater zugestoßen ist”, fuhr er fort, “aber da gibt es viele Möglichkeiten. Hier gilt ein Leben nicht viel.”
Seltsam fasziniert verfolgte Bethany, wie er diese Möglichkeiten an den langen biegsamen Fingern abzuzählen begann.
“Da sind die herumziehenden Beduinenstämme, die nichts dabei finden, einen allein angetroffenen Fremden zu töten. Da sind die Schihuh, das blauäugige Volk, das Ihr Vater erforschen wollte. Er könnte diese Leute beleidigt haben. Dann sind da die Räuberbanden, die Karawanenleute, die marxistischen Guerillas aus dem Jemen. Sie alle können Ihren Vater umgebracht haben.
Soll ich noch mehr aufzählen?”
Jede dieser Möglichkeiten für sich hätte Bethany entmutigen können. Die Vielzahl der Todesgefahren ließ es so gut wie unmöglich erscheinen, daß ihr Vater noch am Leben war.
Dennoch klammerte sie sich an einen Hoffnungsschimmer. Ein kluger, welterfahrener Mann wie Douglas MacArthur McGregor fiel so leicht niemandem zum Opfer. Er war weit mehr als nur Wissenschaftler. Er war zäh, energisch und allen Situationen gewachsen.
Bethany schüttelte den Kopf, als könnte sie sich so der Beeinflussung durch den Scheich entziehen.
“Ich werde ihn finden”, erklärte sie mit Nachdruck. “Als erstes werde ich ihn oben in den Jebel-Hafit-Bergen suchen …”
“Nein … das … werden … Sie … nicht!” Der Scheich betonte jedes Wort, und sein harter Ton ließ anklingen, daß er Ungehorsam nicht duldete.
Doch Bethany gab nicht nach. Trotzig sah sie den Araber an.
“Doch, das werde ich! Ich bin nicht um ein Drittel der Welt gereist, um…”
“Sie werden sich meiner Anordnung fügen”, bestimmte der Scheich mit eisiger Stimme. “Bis zur Zeit meines Vaters waren überhaupt nur zwei Weiße in dieses Gebiet vorgedrungen. Es liegt fernab jeder Zivilisation, ist unwegsam, gefährlich …”
“Natürlich ist es das”, unterbrach Bethany ihn ungeduldig.
“Genau deshalb ist es für einen Anthropologen ja so interessant.
Deswegen ist mein Vater schließlich dorthin gezogen. Wo gibt es sonst auf der Welt Stämme und Rassen, von denen noch niemand gehört hat?”
Auf ihren heftigen Widerspruch reagierte der Scheich unerbittlich. “Da Sie die weite Reise nun mal auf sich genommen haben, gestatte ich Ihnen, die Oase Al-‘Ayn aufzusuchen und dort mit P.J. Weatherly zu sprechen. Vielleicht weiß er einiges über die Unternehmungen Ihres Vaters vor seinem Tod, das Sie interessieren könnte. Danach kehren Sie nach Rhafhar zurück. Mehr gestatte ich Ihnen nicht.”
“Das können Sie nicht tun!” entrüstete Bethany sich. “Sie haben kein Recht…”
“Ich habe jedes Recht”, erklärte der Araber gelassen. “Hier bin ich das Gesetz. Der absolute Herrscher. Alle Befehlsgewalt liegt bei mir. Das ist Allahs Wille. Tun Sie also, was ich Ihnen gesagt habe, Bethany McGregor. Ungehorsam dulde ich nicht.”
Sie dachte nicht daran, sich zu fügen, aber es wäre unklug gewesen, das zu äußern. “Ja”, sagte sie nur kleinlaut. “Ich reise nach Al-‘Ayn.”
Wieder zuckte es um die Lippen des Scheichs, was fast wie ein Lächeln wirkte. “Wir werden für … Ihre Sicherheit sorgen.”
Ohne Bethanys Antwort abzuwarten, machte er kehrt und ging davon.
Seine Begleiterschar folgte ihm. Bethany hatte gar nicht wahrgenommen, daß die Männer in der Nähe gestanden hatten, während ihr Herrscher mit ihr sprach. Ihre ganze Aufme rksamkeit hatte ihm gegolten…
Bethany zuckte die Schultern und versuchte den Eindruck zu verdrängen, den der Scheich auf sie gemacht hatte. Ihr Kampfgeist kehrte zurück.
Dieser Mann würde sie von ihrem Vorhaben nicht abbringen, schon gar nicht mit Bevormundung oder Befehlen.
Sie würde ihren Vater finden!
2. KAPITEL
Zielstrebig steuerte Bethany auf das Gepäckkarussell zu, um ihren Koffer zu holen. Sie brauchte nicht lange zu warten. Doch als sie das schwere Stück vom Band hieven wollte, kam ihr jemand zuvor.
“Das ist meiner!” Entrüstet drehte sie sich zur Seite und hatte einen Araber vor sich.
Er war klein und dünn, und seine grauen Augenbrauen ließen das
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