Im Bann des Mondes
heute Abend mir gegenüber sehr freundlich verhalten, trotz Ihres unseligen Verhaltens, das Sie meiner Schwester gegenüber an den Tag legen.« Northrup versuchte noch nicht einmal, sein Schnauben zu unterdrücken, und sie wurde ein bisschen lauter. »Das Mindeste, was ich tun kann, um den Gefallen zu erwidern, ist, Sie darauf hinzuweisen, damit Sie sich nicht noch mehr zum Narren machen.«
Sein Kinn war leicht nach unten gesackt, und sein Körper schien auf dem Sofa erstarrt zu sein. Sie fand den Anblick eigentlich ziemlich erfreulich. »Gute Nacht, Lord Northrup. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«
Ihre Hand lag schon auf dem Türgriff, als Northrup plötzlich neben ihr stand. Seine große Hand senkte sich auf ihre und hielt sie fest. »Meinen Sie wirklich, Sie können mich in dieser Form tadeln und dann einfach gehen, Mädchen?« Die wütende Erregung ließ seinen schottischen Akzent deutlicher hervortreten, und seine Stimme klang dabei so tief und melodisch, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Northrup trat noch dichter an sie heran und drückte sich an sie, sodass sie eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner Anatomie bekam. »Ich glaube, Sie würden es vorziehen, wenn ich mit jemand anders meine Spielchen treibe.«
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Mit mir, meinen Sie?«, fragte sie kühl, als würde ihr Herz nicht gerade pochen wie das eines verängstigten Kaninchens.
Sein Kinn wirkte verkniffen, als er mit einem Ruck nickte. Oh, er war ausnahmsweise mal sprachlos. Was für ein Gedanke.
»Sie können es gern versuchen, Mylord.« Sie schob ihn mit der Schulter zur Seite, sodass er kurz das Gleichgewicht verlor und einen Schritt zurückweichen musste. Daisy öffnete die Tür, hielt dann jedoch noch einmal inne, um ihn zu mustern.
Northrups breite Brust hob und senkte sich unter den schnellen Atemzügen eines Mannes, der wütend war. Seine Augen blitzten, während seine Hände an den Seiten zu Fäusten geballt waren. Der Anblick hätte sie eigentlich einschüchtern müssen, bewirkte aber nur, dass ein unliebsamer Schwall Hitze in ihre Weiblichkeit schoss.
»Aber ich bezweifle, dass Sie mit jemandem wie mir überhaupt fertig werden. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie es vorziehen, wenn Ihre Frauen entweder unerreichbar sind oder unterwürfig. Ich bin keins von beidem.«
4
»Das wurde aber auch Zeit, dass Sie kommen.« Henry Poole trat von einem kleinen Fuß auf den anderen und spähte die Straße nach links und nach rechts, als würden gleich Diebe auf ihn losgehen, ehe er wieder mit finsterer Miene zu Ian aufschaute. In der Ferne war das leise Läuten von Kirchenglocken zu hören. »Adele wird jetzt bald anfangen sich zu fragen, wo ich hin bin. Wir frühstücken miteinander. Normalerweise.«
»Ich bin pünktlich auf die Minute, alter Junge«, erwiderte Ian, während er auf Poole zugeschlendert kam. Trotz seines gemächlichen Gangs nagte die Nervosität an ihm. In all den Jahren hatte er sich nie mit dem Tod abfinden können … und hatte ihn gemieden, wann immer das ging.
Er musterte das kleine, rechteckige Gebäude, das Pooles Untersuchungszimmer beherbergte. Nicht einmal die breiten, dicht bevölkerten Straßen des Londoner Stadtzentrums konnten den klebrig süßen Gestank nach Verwesung tilgen, der aus den hohen, halbkreisförmigen Fenstern des Gebäudes wehte. Er wandte den Blick von dem Haus ab.
»Und den Zeitpunkt haben Sie bestimmt«, rief Ian ihm in Erinnerung.
»Hmm …« Poole holte seine Taschenuhr hervor und warf einen vorwurfsvollen Blick darauf.
Keiner wäre bei dem kleinen, runden Henry J. Poole, der in seinem makellosen Cut wie ein Pinguin aussah, auf die Idee gekommen, Londons herausragendsten Forensiker vor sich zu haben. Obwohl er mit seinen runden Augen und der Stupsnase kindlich wirkte, besaß der Mann einen scharfen Verstand und eine fast schon unheimliche Beharrlichkeit, wenn es um das Studium der menschlichen Anatomie ging.
»Wegen Ihrer kleinen Bitte«, sagte Poole, »gehe ich Inspektor Lane seit Stunden aus dem Weg. Der Mann will die Leichen unbedingt sehen. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel Lügen ich mir ausdenken musste?«
»Ich bin davon überzeugt, dass Sie sehr kreativ waren, Poole.«
»Pah. Diese Scherereien brauche ich nicht. Ich sollte mich auf meine Praxisarbeit konzentrieren und fünfzig Pfund dafür kassieren, dass ich bei Lord und Lady Sowieso Schwindelanfälle diagnostiziere.« Er starrte Ian finster an,
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