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Im Bann des Mondes

Im Bann des Mondes

Titel: Im Bann des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Callihan
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bereitzulegen, und Lane ihm dabei zusah, trat Archer zu Ian. Noch immer lag ein wachsamer Ausdruck auf seinem Gesicht. Archer so zu sehen, wie er jetzt war, versetzte Ian regelmäßig einen Schreck. Siebzig Jahre lang hatte er den Mistkerl nur mit schwarzer Maske und Handschuhen gesehen, um sich vor der Welt zu verbergen. Ein Dämon hatte bei Archer eine Veränderung in Gang gesetzt, durch die er sich allmählich in ein Monster aus Eis und Stein verwandelt hatte. Er wäre selbst zum Dämon geworden, hätte Miranda ihn nicht gerettet.
    Ian unterdrückte die Gewissensbisse, weil er sich zwischen die beiden gedrängt hatte. Denn in Wirklichkeit war er erleichtert, dass Archer wohlauf und wieder zum Menschen geworden war. Auch wenn er das niemals zugeben würde.
    »Ian.« Archer deutete nur ein Nicken an, sein Blick war eisig. Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Miranda sagt, du hättest Daisy gefunden.« Seine Augen wurden schmal. »Da war ein Werwolf, nicht wahr? Wie praktisch, dass du auch gerade am Schauplatz warst.«
    Und da war er wieder … der kalte Vorwurf in den grauen Augen. Ian hatte zwar damit gerechnet, aber trotzdem wollten die Krallen kribbelnd hervorschnellen. »Ja, du weißt Bescheid, wenn es darum geht, zur falschen Zeit an einem Ort zu sein, an dem ein Verbrechen stattgefunden hat. Und mit Verwechselungen kennst du dich ja auch aus.«
    Archer zuckte zusammen. Das sollte er auch, dieser Mistkerl. Archer war selbst einmal unter Mordverdacht geraten, weil man ihn für jemand anders gehalten hatte. »Na gut … weißt du, wer es getan hat?«
    Ians wütendes Flüstern war kaum mehr als ein Hauch. »Wenn es so wäre, würde ich ja wohl kaum hier sein, oder?«
    Archers Mund zuckte leicht. »Stimmt.« Er entfernte sich wieder und trat zu Poole an den Untersuchungstisch.
    Poole setzte seine Brille auf und beugte sich über das, was einmal Mr Mark Ashford gewesen war. »Sie können sehen, was mit dem armen Kerl gemacht worden ist«, sagte er, ohne Ians Unbehagen wahrzunehmen. Warum sollte er auch? Er hatte Ian mehrfach in Anatomie unterrichtet, genau wie Archer. Er hatte ihnen beigebracht, wie man sezierte, als einen so etwas noch nach Newgate hätte bringen können. Glücklicherweise hatte die Gesetzgebung endlich eingesehen, welche Vorteile Autopsien der Medizin brachten.
    Ians Angst vor Blut war schon seit langem verschwunden. Der menschliche Körper aus Haut und Fleisch, Sehnen und Knochen stellte ein Wunder dar. Jedes Organ, das Blut, das durch die Adern gepumpt wurde … ein Wunder. Diese Vollkommenheit, diese Präzision und die Harmonie, mit der ein Körper am Leben erhalten wurde, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Ian hatte häufig festgestellt, wie sehr ihn diese Schönheit überwältigte. Doch der Wolf in ihm hasste den Tod. Dessen natürlicher Instinkt wollte die Toten meiden und nur mit den Lebenden zu tun haben. Das war der Grund, warum Ian irgendwann aufgehört hatte zu praktizieren; der Tod ließ sich immer nur eine gewisse Zeit aufschieben.
    Vor ihm lag ein völlig zerfetzter Leichnam. Nur die Glieder waren einigermaßen unversehrt geblieben. Winston Lane, der neben Ian stand, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Die Haut des Mannes schimmerte grünlich, und Lane hatte ein Taschentuch hervorgezogen, das er sich jetzt auf den Mund drückte. Archer stand regungslos und stumm wie eine Statue da und verriet durch nichts, was in seinem Kopf vorging. Ein netter Trick.
    »Nicht mehr viel übrig, woraus man Rückschlüsse ziehen könnte«, fuhr Poole fort. »Aber schauen Sie hier.«
    Ian ließ den Blick an der aufgerissenen, zerfetzten Brust vorübergleiten. Es war eine Leiche. Mehr nicht. Farben, Formen und Geruch.
    Poole deutete auf eine Stelle, wo das Fleisch offen lag. »Sehen Sie hier. Die Einschnitte entlang der
pectoralis major
dürften sauber genug sein, um sie genauer untersuchen zu können.«
    Es handelte sich um vier saubere, parallele Schnitte, die auf einen Schlag Fleisch, Muskeln und Sehnen durchtrennt hatten. Klauenspuren. Er brauchte Archer gar nicht erst anzusehen, um zu wissen, dass der Mann dies auch wusste. Ian beugte sich tiefer über die Stelle und tat so, als würde er die Wunde untersuchen, während er Archer das Reden überließ.
    »Die könnten von einem Messer stammen«, überlegte Archer laut und legte den Kopf auf die Seite.
    »Sehe ich auch so«, meinte Poole, während Ian den Moment nutzte, um tief einzuatmen. »Schauen Sie hier.

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