Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
dichter und stieg höher, bis er das Zaumzeug der Pferde erreichte. Schon bald war es ein stürmischer Wind, der unter den entsetzten Augen der Räuber Formen und Gesichter annahm, die sich verfestigten, bis sie so wirklich und materiell wie du und ich schienen.« Ein leichter Dunst stieg von Carroways Kerzen auf, wirbelte über den Boden des Schlosses und entsandte seine Greifarme unter die Zuhörer, die erschrocken zusammenfuhren, als sie ihn bemerkten, und Carroway mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Unter ihren Blicken nahm der dünne Dunstschleier die Gestalten der Erzählung an, phantomhafte Fetzen in den Umrissen sich aufbäumender Pferde und dahineilender Geister.
»Die Geister Shekerishets erhoben sich, um es vor den Invasoren zu verteidigen, mit der Macht der Toten und dem Willen jedes tapferen Kämpfers, der jemals bei der Verteidigung von König und Königreich den Tod gefunden hatte. Ein Heulen übertönte den Wind, die schrillen Schreie und das warnende Wehklagen der aufsteigenden Geister, und der Nebel war so dick, dass er die Angreifer voneinander trennte.« Eine schnelle Bewegung von Carroways Handgelenk, und zwei kleine Kügelchen flogen aus seiner Hand und kreischten und jammerten, als sie auf dem harten Boden auftrafen. Seine Zuhörerschaft sprang aus ihren Sitzen, die Augen weit geöffnet vor Furcht.
»Verwirrt und zu Tode erschrocken liefen die Angreifer davon«, setzte Carroway seine Erzählung fort. In seinen grauen Bardenroben, schwach beleuchtet von den flackernden Fackeln, sah er selbst wie eine Gestalt aus der Legende aus. »Die Mauer der Geister trieb sie zurück, in die wartenden Klingen der margolanischen Armee. Die gespenstischen Hüter des Schlosses drängten den Feind zurück und verfolgten ihn, bis er sich jenseits der Tore zerstreute«, sagte er und streckte die Hand aus. Sein Publikum kreischte in gefälligem Schrecken, als der Rauch sich auf Carroways Befehl hin erhob und die mannsgroße Erscheinung eines Skelettkämpfers annahm, der im Begriff stand, das Schwert aus der Scheide zu ziehen, die an seiner knochigen Seite hing.
»Es heißt, dass die Geister Shekerishet immer noch beschützen«, sagte Carroway mit einem Grinsen. »Es heißt, dass die Geister des Schlosses es gegen Eindringlinge verteidigen und kein Unheil über diejenigen in seinen Mauern kommen lassen. Es heißt, dass der Fluch von König Hottens Magier immer noch wirksam ist und dass seitdem jedes Königs Magier mit seinem letzten Atemzug etwas hinzugefügt hat. Und dies«, schloss er und lehnte sich zufrieden zurück, »ist die Geschichte von der Schlacht an den Schlosstoren.«
Tris kicherte, als die Kinder mit großen Augen wegmarschierten und ihren Geschichtenerzähler zurückließen, der sich anschickte, seine Sachen einzusammeln. Kait hüpfte zu Carroway hin und warf ihm eine neckische Kusshand zu. »Das war toll!«, plapperte sie los. »Aber du musst es gruseliger machen!« Sie zwinkerte dem Barden zu. »Wenn ich nicht schon geschworen hätte, niemals zu heiraten, dann würde ich mir dich aussuchen«, fügte sie hinzu. Tris hatte den Verdacht, dass Kait nur zum Teil spaßte, obwohl sie Tris’ Freund aus Kindertagen schon so lange kannte, dass er wie ein Bruder für sie war.
»Wegen dir wird sie noch Albträume bekommen!«, scherzte Tris und rettete den errötenden Spielmann.
Carroway grinste. »Das hoffe ich doch. Darum geht es ja an Spuken!« Er stand auf und glättete die Falten seines Umhangs. Eine Gruppe kostümierter Feiernder zog mit untergehakten Armen an ihnen vorbei, laut singend und dabei kaum einen Ton treffend.
»Schönes Spuken euch, Barde und allen!«, rief einer von ihnen und warf Carroway eine goldene Münze zu, die der Geschichtenerzähler mitten in der Luft fing.
»Ein schönes Spuken auch Euch, mein Herr!«, rief Carroway dankend zurück, hielt die Münze hoch und ließ sie, zum Entzücken der Festbesucher, mit einer schwungvollen Gebärde verschwinden. Carroway war so groß wie Tris, aber dünner, und bewegte sich mit der Anmut eines Tänzers. Sein langes, blauschwarzes Haar rahmte Gesichtszüge ein, die so hübsch waren, dass sie auf dem Grat zur Schönheit balancierten. Hellblaue Augen mit langen Wimpern sprühten vor Intelligenz und zeugten von einem scharfen Verstand.
Ban Soterius erschien an Carroways Seite. »Pass auf, dass die Priesterinnen nicht hören, wie du ihr Fest nennst«, warnte ihr Freund ihn mit gespieltem Ernst. »Es ist das Fest der Verstorbenen, junger
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