Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
gewecktem Interesse.
Sie hob einen Finger und richtete ihn auf die Brust des Barden. »Du zuerst, Spielmann«, schnarrte sie. Sie sah zu Tris und Soterius hoch und ihre Augen verengten sich. »Wartet schweigend.«
Sie summte ein raues Lied, uralt und fremdartig, gerade so laut, dass Tris die Worte nicht verstehen konnte. Ihre knorrigen Hände liebkosten den Kristall, strichen über seine Oberfläche, legten sich sanft um ihn, schwebten dicht über seinen glatten Konturen.
Die Kugel begann zu leuchten – ein kaltes, wirbelndes Blau, das an ihrem Nexus begann und allmählich den gesamten Kristall mit einem strahlend blauen Lichtschein füllte. Die Alte schloss die Augen, summte und wiegte sich.
Als sie sprach, geschah es mit der klaren Stimme eines jungen Mädchens, ohne eine Spur des rauchigen Krächzens, das zuvor darin gelegen hatte. »Du bist der Schöpfer der Geschichten und der Nehmer der Leben«, sagte die Stimme des Mädchens, glockenrein und übernatürlich. »Deine Geschichten werden die größten sein, die Margolan jemals gekannt hat, aber Kummer, ja, großer Kummer wird dich deine Lieder lehren. Gib Acht, Traumspinner!«, warnte die Stimme. »Deine Reise führt dich zu den Unsterblichen. Hüte deine Seele gut!«
Tris merkte, dass er den Atem angehalten hatte; Soterius starrte die Alte regungslos an, während Carroway die Seherin mit großen Augen betrachtete, in denen sich seine Verwunderung widerspiegelte. Das Gesicht der Wahrsagerin entspannte sich, als ob ein Vorhang gefallen wäre, und die Stimme verstummte.
»Lasst uns von hier verschwinden!«, drängte Soterius.
»Bleibt!«, verlangte die Alte gebieterisch, und obgleich sie ihre rasselnde Stimme nicht hob, ließ der Befehl Soterius wie angewurzelt stehen bleiben. »Komm her, Soldat«, sagte sie, während Carroway, immer noch benommen, sich aufrappelte. Aschfahl gehorchte Soterius.
Aus den bauschigen Taschen ihres ausgefransten Gewandes zog die Vettel ein abgenutztes Kartenspiel hervor. Jalbetkarten, erkannte Tris, Arbeitsmaterial der Straßenrandorakel und Gesellschaftsvergnügen der Damen bei Hofe. Flink legte die Alte vier Karten hin.
»Der Ochse«, schnarrte sie und nannte die Karten. »Der Schwarze Fluss. Die Münze. Die Dunkle Lady.« Die Seherin stieß ein schroffes Lachen aus. »Diese sprechen für die Göttin«, krächzte sie. »Sieh genau hin!«
»Ich verstehe nicht –«
»Ruhe!« Ihr krummer Finger strich über die erste abgenutzte Karte. »Der Ochse ist die Karte der Stärke. Deine Gesundheit und Stärke werden dir gute Dienste leisten, Soldat. Zusammen mit dem Schwarzen Fluss sprechen die Karten von Krieg«, sagte sie wie zu sich selbst, und ihre Stimme hatte etwas von einem Singsang. »Du wirst von Erfolg begleitet sein. Das ist die Erzählung der Münze. Doch«, zischte sie, während ein abgebrochener Nagel bebend über die letzte Karte fuhr, »nimm dich in Acht! Denn deine Reise wird dich über finstere Straßen führen in Gesellschaft von Toten und Untoten. Du wirst unter den Dienern der Dunklen Lady sein. Hüte deine Seele gut!«
Soterius schluckte schwer und stierte auf die Karten. Er warf einen nervösen Blick auf die Kugel, die still und klar blieb. Die Vettel sah zu Tris hoch und winkte ihn wortlos heran. Mit dumpf pochendem Herzen gehorchte er und ließ sich beunruhigt nieder, nachdem Soterius ihm hastig Platz gemacht hatte.
»Gib mir deine Hand!«, forderte die Alte ihn auf und hielt ihre eigene über den Tisch. Langsam streckte ihr Tris die Hand entgegen und drehte den Handteller nach oben, als die Hexe sie zu sich zog.
»Eine große Queste kommt auf dich zu, Sohn der Lady«, wisperte die Alte und folgte mit dem Fingernagel einer kaum sichtbaren Linie auf Tris’ Handteller. »Wer kann ihr Ende sehen?«, murmelte sie und zog mit dem Nagel andere Linien auf seiner Handfläche nach. »Viele Seelen hängen in der Schwebe. Dein Weg liegt im Dunkel.« Sie holte tief Luft, und ihre Finger zitterten.
»Was ist?«, flüsterte Tris und fürchtete sich davor, lauter zu reden.
»Du gehörst tatsächlich der Lady«, krächzte die Vettel. »Deine Hand offenbart keine Todesstunde.«
»Jeder stirbt.«
»Wenn die Lady es für richtig hält. Deine Zeit ist das Werk der Lady. Du bist wahrhaftig in den Händen der Lady«, hauchte sie. »Hüte deine Seele gut, oder alles ist verloren!« Dann, vor den Augen der drei jungen Männer, begann das Bild der Alten zu flackern, und obwohl ihr Mund sich bewegte, hörten sie ihre Worte
Weitere Kostenlose Bücher