Im Bann des Prinzen
Freund Vernon betrieb. Genau genommen, seit Shannon hier arbeitete. Instinktiv schweifte sein Blick zu den schmalen Fenstern rechts und links neben der Tür, die in das Restaurant führte.
Von Shannon war jedoch leider nichts zu sehen. Trotz seines Gewinns war Antonio enttäuscht.
Wieder klingelte ein Handy, und Sekunden später schon das nächste. Doch auch die anderen Mitspieler, zwei von Vernon Wolfes alten Freunden, drückten die Anrufe weg. Vernon und seine Pokerfreunde waren alle ungefähr vierzig Jahre älter als Antonio. Aber der alte Shrimpskutter-Kapitän, der jetzt dieses Restaurant betrieb, hatte Antonio, als dieser noch ein Teenager gewesen war, sozusagen gerettet. Daher war Antonio zur Stelle, wenn Vernon ihn zum Poker rief. Und die Tatsache, dass Shannon hier arbeitete, verlieh dem Ganzen einen zusätzlichen Reiz.
Vernon lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, ohne auf das Handy an seinem Gürtel zu achten, das mit einem alten Seemannslied einen Anruf anzeigte. „Ganz schön mutig, mit nur einem König so hoch zu pokern, Tony“, meinte er. „Ich dachte, Glenn hat mit seiner Dame und dem Buben einen Royal Flush.“
„Das Bluffen habe ich bei Profis gelernt.“ Antonio – oder Tony Castillo, wie er hier genannt wurde – lächelte.
Ein Lächeln war entwaffnender als ein Stirnrunzeln. Antonio lächelte immer, damit niemand erriet, was er dachte. Allerdings hatte ihm nicht einmal sein bestes Lächeln etwas genützt, um Shannon nach ihrem Streit am letzten Wochenende dazu zu bringen, ihm zu verzeihen.
„Dein Freund Glenn kann nicht so gut bluffen“, meinte er und stapelte seine Chips.
Glenn – süchtig nach Koffein – kippte seinen Kaffee schneller hinunter, wenn er bluffte. Zum Glück hatte das außer Tony noch niemand mitbekommen. Er nahm Tonys Seitenhieb sportlich und zuckte nur mit den Schultern.
Vernon drehte den Herzkönig um und schob die ausgespielten Karten zusammen, bis sein Handy Ruhe gab. „Wenn du weiter so oft gewinnst, darf ich dich bald nicht mehr zum Mitspielen einladen.“
Tony lachte mit den anderen, wusste aber genau, dass er sich nicht von hier vertreiben lassen würde. Dies hier war jetzt seine Welt. Er hatte sich ein Leben aufgebaut und wollte nichts mehr mit dem Namen Medina zu tun haben. Inzwischen war er Tony Castillo geworden. Sein Vater hatte das respektiert. Bis vor Kurzem.
Seit sechs Monaten hatte der entmachtete König, sein Dad, ihn immer wieder aufgefordert, auf die abgeschiedene Insel vor der Küste Floridas zu kommen. Tony hatte noch am Tag, als er endlich achtzehn geworden war, den goldenen Käfig verlassen und nie zurückgeschaut. Wenn sein Vater Enrique so krank war, wie er vorgab, dann würden sie ihre Probleme im Himmel lösen müssen … oder – eher wahrscheinlich – irgendwo, wo es noch heißer war als in Texas.
Er mochte den ausgedehnten Sommer in Galveston Bay. Die Klimaanlage surrte noch immer auf Hochtouren in dem Restaurant, das im historischen Viertel direkt am Hafen lag.
Die gedämpfte Musik eines Flamenco-Gitarristen drang zu ihnen herein, zusammen mit der typischen Geräuschkulisse eines gut besuchten Restaurants. Die Geschäfte liefen gut für Vernon. Dafür sorgte Tony. Vernon hatte Antonio einen Job gegeben, als niemand sonst dem Achtzehnjährigen mit dem lückenhaften Lebenslauf hatte trauen wollen. Vierzehn Jahre und viele Millionen Dollar später fand Tony es nur fair, dass ein Teil des Gewinns aus seiner Reederei in eine Altersversorgung für den Shrimpskutter-Kapitän flossen.
Vernon reichte Glenn den Kartenstapel, damit der abheben konnte, und verteilte die Karten neu.
Tony griff nach seinen Karten … und hielt inne, als er etwas von draußen hörte. Ein leises Lachen, das trotz des Klapperns des Geschirrs zu hören war. Ihr Lachen. Endlich. Ihm versetzte es einen Stich, nachdem er eine Woche lang ohne sie hatte auskommen müssen.
Wieder ging sein Blick zu den Fenstern neben der Tür. Shannon tauchte auf, als sie eine Bestellung in den Computer eingab. Dabei kniff sie die Augen hinter ihrer Brille zusammen. Die Brillenfassung im Retrostil ließ sie wie eine strenge, aber sehr aufregende Schulleiterin aussehen, was seine Libido immer wieder aufs Neue in Aufregung versetzte.
In dem gedämpften Licht schimmerte ihr hellblondes, locker hochgestecktes Haar. Die Frisur gehörte sozusagen zu ihrer Arbeitskleidung genau wie der knielange Rock und die eng sitzende Smokingweste. Wie immer sah sie unglaublich sexy aus – und
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