Im Bann des roten Mondes
ging vor ihr her ins Innere des Hauses und hieß sie in einem schmucklosen Raum Platz zu nehmen. Der Boden war ausgelegt mit Teppichen und Polstern, in der Mitte stand ein ovaler, kniehoher Tisch. Zwei junge Männer servierten schweigend Tee.
»Mein junger Neffe sagte mir, dass Sie aus dem fernen Paris angereist sind, um die Schönheit unseres Landes zu studieren.«
Sieh an, die beiden sind verwandt, stellte Désirée erstaunt fest. »Nun, das ist wohl ein bisschen weit gefasst«, antwortete sie und schlürfte den kochend heißen Tee. Trotzdem erfrischte er sie, was sie immer wieder an dieser seltsamen Zeremonie beeindruckte. »Mein Vater ist ein Altertumsforscher, und ich interessiere mich auch dafür.«
Der Scheich nickte. »Ja, ja, unser Land birgt viele Geheimnisse. Den Fremden sind sie oft unverständlich.«
»Oh, ich kenne mich sehr gut in diesen Geheimnissen aus. Ich habe bereits an Ausgrabungen in Tunesien teilgenommen, aber auch Ägypten, Griechenland, im Libanon ...«
Sie bemerkte, wie der Scheich geringschätzig die Mundwinkel verzog. Eine kluge, belesene Frau verdiente seine Missachtung. Für einen selbstbewussten Araber war die Frau eine bessere Sklavin, Mutter seiner Söhne und ansonsten ein nützliches Haustier, um dem Mann die unangenehmen Dinge des Lebens wie die schwere Hausarbeit gänzlich abzunehmen. Und sie hatte zu schweigen und zu gehorchen.
Désirée gab das herablassende Lächeln zurück. »Insofern bin ich also mit Ihren Sitten und Gebräuchen bestens vertraut. Ich achte sie, aber natürlich bin ich Französin.« Sie hoffte, dieser Scheich hatte den Hinweis verstanden.
Er neigte den Kopf. »Seit dem Jahr 1837 sind wir doch alle französische Untertanen«, erwiderte er süßlich.
Désirée hob erstaunt die Augenbrauen. »Damit haben Sie Recht. Insofern unterscheiden wir uns also gar nicht so sehr.« Sie deutete auf das Teeglas. »Nur – Ihr Tee ist besser.«
Der Scheich lachte, und dann fiel auch der Fremde in das Lachen ein.
Désirée fand, dass es genug des allgemeinen Geplauders war. Sie wollte wissen, woran sie war. Und sie wollte wissen, ob an den geheimnisvollen Andeutungen des angeblichen Neffen des Scheichs etwas dran war.
»Ihr Neffe deutete an, dass Sie mir helfen könnten«, sagte sie.
»Vielleicht«, gab er ausweichend zur Antwort.
»Er sprach von einem Automobil. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, was dieses mir helfen könnte bei dem, was ich vorhabe.«
»Und ich habe Sie für eine intelligente, moderne Frau gehalten«, bedauerte der Scheich mit einem theatralischen Augenaufschlag.
Désirée spürte, wie sie errötete. »Das bin ich immer noch«, erwiderte sie frostig.
Der Scheich schien nicht im Mindesten beeindruckt. Mit einer gelassenen Bewegung stellte er das Glas auf den Tisch und faltete dann die Hände über seinem Bauch zusammen, während er Désirée wieder interessiert betrachtete.
»Sie haben etwas vor, das ein großes Wagnis ist. Ich weiß nicht, ob es Mut oder Dummheit ist, was Sie dazu veranlasst.«
Désirée zog die Augenbrauen zusammen. »Es ist die Sorge um meinen Vater. Das werden Sie wohl verstehen.«
Der Scheich schwieg.
Désirée beugte sich ein wenig zu ihm vor und verengte die Augen. »Was ich nicht verstehe, ist der Umstand, dass Sie mir helfen wollen. Was versprechen Sie sich davon? Geld?«
Er lachte. »Alles hat seinen Preis. Auch meine Hilfe. Aber es geht mir nicht um Geld.«
»Es fällt mir schwer, das zu glauben. Wenn es nicht Geld ist, was ist es dann?«
»Die Tatsache, dass den französischen Herren bekannt werden wird, dass Scheich Mohammed Al-Mukhtar bei diesem Unternehmen einen entscheidenden Anteil an der Rettung des großen Forschers hat.«
»Es geht Ihnen also um Anerkennung durch die französische Kolonialmacht?«
»Es ist ein Zeichen meiner Friedfertigkeit.«
»Zweifelt jemand daran?«
Er lachte wieder. »Daran bestehen immer Zweifel. Zum Teil sind sie berechtigt.«
Désirée versuchte zu ergründen, ob dieser Mann wirklich ein Scheich war. Zwar bewegte er sich sicher und souverän, aber der Blick aus seinen kleinen blaugrauen Augen erschien ihr zu verschlagen. Und dann dieser heruntergekommene Palast! Es war kein Palast, es war eine Ruine aus gelben Lehmziegeln. Vielleicht war es eine Räuberfestung. Sie spürte, dass sie in eine Sackgasse geraten war. Dieser Mann wollte etwas anderes von ihr, sie vielleicht entführen, Lösegeld erpressen oder in seinem Harem verschwinden lassen. Sie nahm sich vor, auf
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