Im Bann des roten Mondes
der Hut zu sein.
»Sie sind mir noch einen Beweis schuldig«, sagte sie und blickte ihn auffordernd an.
Wortlos erhob er sich und ging gemessenen Schrittes vor ihr her in den Hof der Festung. Sie folgte ihm, während er den Hof überquerte.
Ein Arkadengang umspannte den Hof. Einige Felder waren mit großen Tüchern abgegrenzt. Mit einem Ruck riss er die Vorhänge beiseite.
»Oh!« Diesen Anblick hatte Désirée tatsächlich nicht erwartet. Es war ein merkwürdiges Bild, so völlig deplatziert in dieser Umgebung. Hinter dem Vorhang standen zwei Automobile! Es waren nicht diese stinkenden und lärmenden Dampfautomobile, vor denen sie sich schon in Paris gefürchtet hatte. Diese hier waren anders.
»Auf der ganzen Welt gibt es drei Produzenten für diese Kutschen ohne Pferde«, sagte der Scheich und wandte sich zu ihr um. »Zwei davon befinden sich in Frankreich. Wussten Sie das?«
Désirée schüttelte den Kopf.
»Der hier ist ein Panhard-Levassor und der andere ein Peugeot. Beide ausgestattet mit den allerneuesten Motoren, die nicht mit Dampf, sondern einer besonderen, geheimnisvollen Flüssigkeit angetrieben werden.«
Zärtlich strich der Scheich mit der Hand über den glänzenden Lack, als sei es das Fell eines kostbaren Pferdes.
»Was soll ich damit?«, fragte Désirée entgeistert.
»Wollten Sie nicht eine weite Strecke zurücklegen? Durch die Wüste?«
»Schon, aber ich kann dieses Monstrum gar nicht bedienen.«
»Brauchen Sie auch nicht. Zu jedem Automobil gehört ein extra ausgebildeter Kutscher – pardon – Fahrer.«
Désirée umkreiste den Wagen. Bislang hatte sie sich nicht für solche technischen Dinge interessiert. »Ich weiß nicht ...« Diese Maschine war ihr nicht geheuer.
»Nun«, sagte der Scheich mehr zu sich als zu Désirée. »Dieses Prachtstück fährt fünfzehn Kilometer. In einer Stunde, wohlgemerkt. Fährt man zweimal fünf Stunden am Tag, so sind das einhundertfünfzig Kilometer. Pro Tag!«
»Einhundertfünfzig ... am Tag!« Désirée war beeindruckt. Wie schnell würde sie damit vorwärts kommen! Doch dann schüttelte sie wieder den Kopf.
»Bei so einem Tempo würde man ja glatt aus dem Wagen geschleudert werden«, gab sie vor. »Kein Mensch hält das aus.«
»Sind Sie noch nie mit der Eisenbahn gefahren?«, wunderte sich der Scheich.
»Doch, natürlich. Erst vor kurzem von Paris nach Marseille.«
»Und? Sie haben es offensichtlich überlebt.«
»Das ist auch nichts Besonderes.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Dann werden Sie auch das Automobil als nichts Besonderes empfinden«, erwiderte er überlegen. »Aber es war nur ein Angebot. Sie müssen es nicht annehmen.«
Sie überlegte angestrengt. Das Gebiet, in dem sie ihren Vater vermutete, war über eintausend Kilometer entfernt. Und die Reise mit dem Automobil würde nur zehn Tage dauern! Ein überwältigender Gedanke!
»Ich kenne solche Automobile nur auf gepflasterten Straßen«, wandte Désirée ein. »Wie ist es möglich, damit durch die Wüste zu fahren? Die erste Sanddüne würde das Vorhaben vereiteln.«
Der Scheich lächelte nachsichtig. Diese Araber lächelten stets, was Désirée aufbrachte. Sie fühlte sich nicht ernst genommen.
»Es ist möglich, indem man die Sanddünen meidet. Der überwiegende Teil der Strecke führt über eine feste Schotterebene.« Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Vor allem das Gebiet nördlich des Hoggar ist eine Geröllwüste.«
Désirée umkreiste wieder die beiden Automobile. Der Gedanke war faszinierend, ja geradezu umwerfend! Von Algier geradewegs zum Hoggar-Gebirge. Keine Karawane, keine Kamele, nicht Wochen und Monate unterwegs, sondern nur Tage!
»Welcher gefällt Ihnen am besten?«, fragte der Scheich. »Wählen Sie sich einen aus.«
Désirée drehte sich zu ihm um und schaute ihm fest in die Augen. »Ich will beide!«
IX
Désirées Weg führte geradewegs von Algier nach Süden. Die erste Etappe nach Djelfa gestaltete sich besonders bequem. Sie benutzte die erst kürzlich fertig gestellte Eisenbahn.
Scheich Mohammed Al-Mukhtar hatte ihr wirklich die beiden Automobile zur Verfügung gestellt. Über den Preis waren sie sich nach kurzer Verhandlung einig geworden. Er verschlang den Löwenanteil ihres gesamten Vermögens. Einen Teil übergab sie dem Scheich als Anzahlung, den anderen hinterlegte sie auf der Bank. Er sollte nach ihrer Rückkehr ausgezahlt werden. Doch sie bekam nicht nur die beiden Automobile, sondern auch zwei arabische Maschinisten.
Weitere Kostenlose Bücher