Im Bann des roten Mondes
Einer hieß Abdullah, der andere Abdelaziz. Abdullah war derjenige, der sich mit Désirée verständigte, während Abdelaziz kaum ein Wort sprach. Er erledigte die wichtigen Arbeiten.
Der Gedanke, beide Automobile zu mieten, hatte viel für sich. In einen der beiden Wagen packten sie Kanister mit dem Betriebsstoff für die beiden Motoren und Wasser. In dem zweiten Wagen wurden die Zelte, Decken, Kochgeschirr und Lebensmittel verstaut.
Die beiden Fahrer waren mit Gewehren bewaffnet. Désirée beobachtete es mit einiger Sorge.
»Damit schießen wir ab und zu eine Gazelle für den Braten«, beruhigte sie Abdullah. Trotzdem beschloss Désirée, stets ihren Dolch, den sie unter abenteuerlichen Umständen in der Kasbah erstanden hatte, bei sich zu tragen.
Monsieur Petit hatte sie gesagt, sie wolle sich noch etwas Land und Leute anschauen, er solle auf keinen Fall sich an ihren Sachen vergreifen und das Zimmer weitervermieten. Dann bezahlte sie es vier Wochen im Voraus.
Scheich Mohammed schlug ihr vor, für die erste Etappe die Eisenbahn zu benutzen, um die Fahrzeuge zu schonen und Wasser und Brennstoff zu sparen. Die beiden Automobile wurden in einen gesonderten Hänger der Eisenbahn verfrachtet. Abdullah und Abdelaziz blieben bei den Gefährten, während Désirée sich von ihrem letzten Geld ein Billett für die erste Klasse leistete.
Es reiste sich wirklich erstaunlich komfortabel. Etwa zehn Stunden sollte die Fahrt dauern, die sie in einem gepolsterten Coupé verbrachte. Ein französisches Ehepaar mittleren Alters teilte es mit ihr.
»Hyppolite Chabrol«, stellte sich der Mann vor. »Meine Gattin.«
Madame Chabrol nickte Désirée distanziert zu.
»Sie reisen allein?«
»Ja«, erwiderte sie. »Warum?«
Monsieur Chabrol räusperte sich diskret. »Es ... es ist ungewöhnlich.«
Désirée lachte. »Ganz allein bin ich natürlich nicht. Meine beiden arabischen Begleiter befinden sich im Gepäckwagen.«
Ein peinliches Schweigen war die Antwort.
Désirée spürte die musternden Blicke von Madame Chabrol. Auf den ersten Blick hatte sie bemerkt, dass Désirée kein Korsett trug. Ein unverzeihlicher Fauxpas. Ihre Augen huschten zu ihrem Gatten, um zu kontrollieren, wo dieser seine Augen hatte. Auch er hatte Désirées unkonventionelle Kleidungsweise mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck zur Kenntnis genommen.
»Sie entstammen Künstlerkreisen?«, fragte er schließlich.
»Wie kommen Sie darauf?«, wunderte Désirée sich.
Er räusperte sich diskret. »Nun ja, ... man gewinnt den Eindruck.«
»Mein Gatte spricht das aus, was ich auch denke«, ließ sich Madame Chabrol vernehmen. »Ihre Kleidung, ... ähäm ... also Ihre Taille ist nicht geschnürt, und Sie tragen ein Reformkleid. Empfinden Sie das nicht selbst als scheußlich?«
»Scheußlich?« Désirée lachte herzhaft auf. »Ein Korsett finde ich scheußlich. Es verbiegt die Knochen und presst die Frauen in eine Form, die ihnen Gott gar nicht gegeben hat. Außerdem ist es hier sehr heiß. Und da, wohin ich fahre, ist es noch heißer.«
Madame Chabrol schnappte nach Luft, während ihr Gatte pikiert aus dem Fenster schaute.
»Nun ja«, meinte sie schließlich. »Ich trage natürlich nur anständige Kleidung. Die Wärme macht mir nichts aus.«
»Dann schätzen Sie sich glücklich«, erwiderte Désirée versöhnlich. »Seit ich in Nordafrika lebe, weiß ich die angenehme Kleidung der Einheimischen zu schätzen.«
Madame Chabrol war beinahe einer Ohnmacht nahe. »Der Einheimischen?«
Désirée nickte. »Ich befinde mich auf einer Expedition ins Hoggar-Gebirge.«
Jetzt wandte ihr auch Monsieur Chabrol sein Interesse zu. »Das ist aber unmöglich«, stellte er fest.
»Nein, ist es nicht«, widersprach Désirée.
»Wie wollen Sie dahin gelangen? Es liegt abseits der Karawanenroute. Und was, um Himmels Willen, wollen Sie dort?«
Désirée lächelte und lehnte sich zufrieden zurück. »Frage eins – mit einem Automobil. Frage zwei – meinen Vater suchen. Er hat dort Ausgrabungen durchgeführt.«
Monsieur Chabrol schüttelte ungläubig den Kopf. »Dort treiben Wüstenräuber ihr Unwesen. Selbst unsere Armee konnte nicht bis dahin vordringen. Es ist Wahnsinn, was Sie vorhaben! Glauben Sie mir, und lassen Sie davon ab!«
»Ich glaube Ihnen«, erwiderte Désirée gleichmütig. »Aber ich kann nicht davon ablassen. Es geht um das Leben meines Vaters.«
»Entschuldigen Sie, Mademoiselle, aber wenn er denen in die Hände gefallen ist, dann ist er ohnehin
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