Im Bann seiner Küsse
verbrachte die Nächte in den Scheunen der Nachbarn. Tess putzte das Haus, kümmert sich um Caleb und spielte mit den Mädchen. Dass Jack tagsüber fort war, kümmerte sie nicht. Die täglichen Pflichten beschäftigten sie zu stark, als dass sie ihn vermisst hätte. Die Nächte aber waren anders. Länger.
Nachdem das Geschirr gespült und eingeräumt war und Katie ihre Leselektion hinter sich hatte, erstreckte sich die Nacht wie eine wahre Ewigkeit vor ihr, dunkel und einsam und mit subtilen Geräuschen erfüllt. Sie lag im Bett, dachte an Jack, träumte von Jack, verzehrte sich nach Jack.
Er hörte, dass Jim mit ihm redete, doch klangen die Worte, als kämen sie aus weiter Ferne.
Jack stützte die Ellbogen auf den breiten Rand des Kanus und lehnte sich vorsichtig zurück, damit das Boot nicht ins Schwanken geriet. Die Frühlingssonne schien ihm ins Gesicht, und eine feine Schweißschicht bedeckte seine Stirn.
Er schloss die Augen und genoss die Sonne. Morgen würde er bei seiner Frau sein. Endlich, nach über einer Woche, in der er in Scheunen genächtigt und an fremden Tischen gegessen hatte, würde er wieder daheim sein. Daheim.
Das Wort beschwor ein Dutzend angenehmer Bilder herauf: Lissa, die das Tischgebet sprach. Katie, die langsam aus ihrer Fibel vorlas, Savannah, die ihrem Daddy schüchtern und aus ganzem Herzen zulächelte, Lissa, die das Geflügel fütterte. Lissa in der Badewanne, Lissa in ihrem gemeinsamen Bett.
Lissa.
Er seufzte und lauschte dem Wasser, das gegen das Kanu schlug. Er konnte sich nicht besinnen, wann er sich jemals so gut, so hoffnungsvoll gefühlt hatte. Zum ersten Mal seit Jahren glaubte er wieder an sich.
»Jack? Jack?«
Jack fuhr aus seinem angenehmen Tagtraum auf. »Ach, entschuldigen Sie, Jim. Was sagten Sie?«
Jim hob das triefende Paddel aus dem Wasser und legte es quer vor sich. Mit einem müden Seufzen schob er den Hut zurück und grinste Jack an. »Ich sagte, jetzt sind Sie dran.«
Jack griff über die Bündel gelblicher Vliese, die den Großteil seines Jahreseinkommens darstellten. Er richtete sich auf, tauchte das Paddel ins Wasser und steuerte auf den großen grünen Landrücken in der Ferne zu, der Insel Vancouver, wo sie ihre Waren auf den Markt bringen und Wintervorräte einkaufen würden.
»Jack, Sie wissen, dass ich nicht von der redseligen Sorte bin, aber ich muss sagen, dass Sie sich in letzter Zeit sehr verändert haben.«
Jack blinzelte in die Sonne und drückte den Hut tiefer in die Stirn. »Ja, vermutlich.«
Jack spürte, dass Jim auf eine Erklärung wartete. Ebenso wusste er, dass Jim nie weiterfragen würde.
Normalerweise wäre das Gespräch nun beendet gewesen. Jack hatte Jahre damit zugebracht, sich jedem menschlichen Kontakt zu verschließen. Nach dem großen Horror hatte er sich mit jedem Jahr tiefer in seinen Panzer zurückgezogen in der Hoffnung, er würde niemandem wehtun und niemanden enttäuschen können, wenn er sich nur tief genug zurückzöge.
Doch seine Bestrebungen, die Kinder zu schützen, hatten ihnen nur umso mehr Leid beschert. Seine Töchter, die er mehr als sein .Leben liebte, hatten nie die Worte >Ich habe dich lieb< von ihrem Vater zu hören bekommen.
Er dachte an das strahlende Lächeln, das Savannah ihm geschenkt hatte, als er ihren gemalten Vorhang lobte.
Er hatte ihr so viel Freude bereitet, und es hatte ihn so wenig Mühe gekostet. Die Erkenntnis, wie wenig seine Kinder brauchten, um glücklich zu sein, war schmerzlich für ihn. Dummkopf, der er war, hatte er ihnen noch weniger gegeben.
Schluss damit, entschied er. Keine Lügen mehr und kein Versteckspiel. Er wollte auch nicht mehr den Gleichgültigen mimen. So wollte er nicht mehr leben. An jenem Tag in der Kirche hatte er einen Neuanfang gelobt, nicht nur in seiner Ehe. Er hatte sich geschworen, mit seinen Kindern, mit sich und seinen Nachbarn neu anzufangen. Er wollte der Mensch werden, der er schon seit Jahren hätte sein sollen.
Nach einem tiefen Atemzug stürzte er sich in die kalten, Furcht einflößenden Gewässer eines Gespräches. »Lissa und ich hatten in der Vergangenheit unsere Probleme ...« Die Verwunderung in Jims Miene ließ Jack laut auflachen. Seine Angst vor dem Reden schwand. »Sie haben wohl nicht erwartet, dass ich etwas anderes sage, hm?«
»Jack, ich kenne Sie schon lange, und ehrlich gesagt wundert es mich, dass Sie überhaupt reden.«
Jack nickte. »Ja, das dachte ich mir. Na, jedenfalls läuft es jetzt mit mir und Lissa sehr
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