Im Bann seiner Küsse
zu geben, dass jenes andere Gefühl, das noch tiefer verschüttet war, auch seine Berechtigung hatte. Sie war sicher, dass es vorhanden war wie in jedem Menschen. Irgendwo in Jacks verdunkelter, von Angst geplagter Seele lag das Verlangen, glücklich zu sein.
Sie musste es nur finden.
Er riss an den Zügeln und brachte Red zum Stehen. »Wir sind da«, sagte er zähneknirschend und sprang vom Wagen.
Tess starrte zu ihm hinunter.
Er sah sie finster an. Seine Augen wurden noch schmaler.
»Huch«, murmelte sie. »Nie hätte ich es für möglich gehalten.«
»Los, Amar...«
»Lissa.« Sie strich ihren Rock glatt.
Er senkte die Stimme. »Los, Lissa, verschaff dir allen Spaß der Welt, aber lass mich verdammt noch mal in Frieden.« Er beugte sich vor und stützte sich mit der Hand auf dem Seitenbord des Wagens ab. »Verstanden?«
Tess rutschte auf der Bank weiter, bis sie außer Jacks Reichweite war. Ihr Knie streifte seine Hand. Sie beugte sich hinunter und starrte ihn an. Sie war so nahe, dass sie die winzigen goldenen Pünktchen sah, die seine grünen Augen erhellten. »Ach, immer noch dasselbe. Nein, Jack, ich verstehe nicht. Und du offenbar auch nicht. Das ist ein Familienpicknick. Du gehörst zur Familie. Daher wirst du mitmachen.«
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
Sie warf den Mädchen ein Lächeln zu. Die beiden saßen aneinander geschmiegt rückwärts im Wagen mit Caleb. Ehe sie sich in Bewegung setzten, wollten sie offenbar den Ausgang der Auseinandersetzung abwarten. »Es bedeutet, dass man im Freien isst, die Sonne genießt und ...«Sie sah wieder Jack an, und diesmal war sie es, die die Augen zusammenkniff, »... und Spaß miteinander hat.«
Er starrte sie lange und abschätzend an. Dann stieß er einen matten Seufzer aus. »Verdammt, mach, was du willst.«
Ja, Jack, dachte sie. Du sollst es endlich satt haben, gegen mich anzukämpfen. Wirklich satt. Lass ab von deiner Abwehr.
»Ach, danke«, sagte sie samtweich. »Das werde ich. Kommt, Mädchen, wir packen das Essen aus und breiten die Decke unter dem Baum aus.«
Tess hob Calebs Weidenkorb, drückte ihn an ihre Brust und wartete geduldig auf der Bank.
Bis ihre Geduld nachließ.
Hinter sich hörte sie das hohe Gekicher der Mädchen, die sich bemühten, die große Decke auszubreiten. Jack stand bei Reds Kopf und machte sich am Zaumzeug zu schaffen. Reine Ablenkungstaktik, wie Tess zu wissen glaubte. Zweifellos war alles blitzblank und in richtiger Position.
Es wurde Zeit, seine Aufmerksamkeit zu erzwingen.
»Ach, Jack, ich könnte Hilfe gebrauchen«, rief sie im typischen Ton einer hilflosen Südstaatenlady
»Ich bin beschäftigt«, murmelte er, ohne aufzublicken.
Sie räusperte sich. »Je länger ich hier sitze, desto länger bleiben wir hier.«
Als er aufstöhnte, war Tess so gut wie sicher, dass er damit einen Fluch tarnte. »Sehr schön.«
Tess lächelte. »Sehr schön.«
Er wickelte die Zügel um eine kleine Zeder und verknotete sie geschickt. Dann schob er den Hut tiefer in die Stirn, ging durch das kniehohe Gras zum Wagen und reichte ihr die Hand.
»Du wirst beide Hände brauchen.«
Er sah sie an und reichte ihr vorsichtig auch die andere Hand.
Ehe er etwas sagen konnte, legte Tess Calebs Korb in seine ausgestreckten Hände. Jack sah zuerst das Bündel in seinen Armen an, dann sie. Seine Wangen wurden bleich, sein Mund stand offen.
»Das ist dein Sohn«, sagte sie leise.
Angst verdunkelte seine Augen. Tess empfand plötzlich Mitleid mit diesem Mann, der so verzweifelt bemüht war, Gleichgültigkeit an den Tag zu legen. Beinahe hätte sie sein Gesicht berührt und seinen Namen gemurmelt. »Nimm ihn einfach und stell ihn unter den Baum. Ich komme gleich.«
Er schluckte schwer. »Ich könnte ihn fallen lassen.«
»Nein, das wirst du nicht.«
»Tu mir das nicht an, Amarylis. Bitte ...«
»Lissa«, sagte sie leise.
Sie starrten einander wortlos an. Hinter ihnen kicherten fröhlich die Mädchen, und es klang zugleich weit entfernt und tröstlich nahe. Ihr unbekümmertes Lachen verschmolz mit dem leisen Seufzen des Windes im Laub.
Er sah sie mit Augen an, aus denen unerträglicher Schmerz und die Hoffnungslosigkeit eines Mannes sprachen, der nicht an sich glaubte - nicht an sich glauben konnte. Sein stummer Schmerz traf ihr Herz wie ein Dolchstoß.
Unwiderruflich und unleugbar von ihm angezogen, rutschte Tess näher an den Rand des Sitzes. Sie neigte sich ihm zu. Näher. Näher ...
Ihre Zunge benetzte nervös ihre
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