Im Bannkreis Des Mondes
Bewohner. In einer fremden Umgebung wäre alles ganz anders und viel, viel schwerer für sie.
Sir Reuben streichelte ihre Wange. Er lächelte traurig. »Vielleicht wird er es herausfinden, das mag sein. Aber wenn er es erfährt – glaubst du nicht, dass er dich dann eher zu deiner nächsten Angehörigen schicken wird und nicht den weiten Weg zurück nach England?«
Zum ersten Mal, seit Abigail den Brief des Königs gelesen hatte, glomm ein Funken Hoffnung in ihrem Herzen auf. War es möglich, dass sie trotz allem irgendwann wieder mit Emily vereint sein würde?
Sir Reuben schien die Hoffnung in ihren Augen zu erkennen, denn er nickte bekräftigend. »Ich habe all diese Möglichkeiten gründlich durchdacht, ehe ich deiner Mutter erlaubt habe, den König zu bitten, eine Wiedergutmachung leisten zu dürfen. Sie hat es wohl als Kränkung empfunden, dass ihre Stieftochter mit dem falschen Laird verheiratet wurde.«
Abigail schüttelte erneut den Kopf. Wieder brandete der Schmerz durch ihre Schultern. Auch das war eine Lüge. Ihre Mutter war voller Lügen.
»Es ist mir egal, welche Gründe sie für ihr Vorgehen hat. Dies ist deine einzige Möglichkeit, ihrem Einfluss für immer zu entkommen. Wärst du als Emilys Gast in die Highlands gereist, hätte Sybil dich jederzeit nach Hause rufen können. Ich liebe deine Mutter, aber ich weiß auch durchaus um ihr rachsüchtiges Wesen.«
Abigails Tränen waren zwischenzeitlich getrocknet, doch bei der Erinnerung an den Zorn ihrer Mutter flossen erneut Tränen über ihre Wangen.
Sir Reuben wischte sie mit den Daumen beiseite. »Alles wird gut, glaube mir. Wenn du möchtest, dass ich den Laird vorher über dein Gebrechen in Kenntnis setze, werde ich das tun.«
Sie starrte ihn an. Die Tränen versiegten sofort, weil diese Möglichkeit sie schier entsetzte.
»Ich gebe dir mein Wort.«
Ihr Stiefvater war ein harter Mann, bei dem sie nie Trost oder Schutz gesucht hatte. Aber eines wusste sie mit Gewissheit: Er hielt sein Wort.
Anna tauchte in der Tür auf. Sie wirkte ebenso erschüttert wie damals, als ihre Enkelin sich zu nah ans Herdfeuer gewagt und sich daran verbrannt hatte.
»Denk über das nach, was ich gesagt habe. Wir machen uns morgen auf den Weg zur Grenze. Du kannst mir deine Antwort geben, nachdem du in die Augen des Mannes geblickt hast, den du heiraten sollst.«
Die Worte machten Abigail erneut sprachlos. Nur ein Vater, der seine Tochter aufrichtig liebte, hörte auf ihre Meinung, wenn er eine Ehe für sie arrangierte. Es war eine Geste, mit der sie nicht gerechnet hatte, strafte man sie sonst doch zumeist mit Missachtung.
Sir Reubens Angebot war sogar mehr als nur eine Geste. Vielleicht schenkten seine Worte ihr den Mut, den sie brauchte, um sich dem zu stellen, was diese Reise ihr bringen würde.
»Ich danke dir«, wisperte sie mit der Stimme, die sie nicht hören, aber in ihrer Kehle spüren konnte.
Er verzog das Gesicht. »Ich schulde dir weit mehr als das, mein Kind.«
Dann überließ er Abigail Annas liebevoller Fürsorge.
Die Reise zur Burg der MacDonalds dauerte zwei Tage.
Für Abigail waren es zwei Tage voller Schmerz, an denen sie es zudem vermied, ihre Mutter anzusehen und auf das zu reagieren, was sie sagte oder tat.
Seit Abigail bei ihrer Mutter in Ungnade gefallen war, hatte sie darauf gehofft, eines Tages die mütterliche Liebe und Zuneigung zurückzugewinnen. Doch jetzt wusste sie, dass das nie geschehen würde. Ihr Traum war nicht mehr als ein Märchen gewesen, ein Märchen wie jene, die Anna über die Werwölfe in den schottischen Highlands erzählt hatte, als sie und Emily noch Kinder waren.
Doch inzwischen war es ihr egal.
Auch wenn ihre Mutter sie nicht liebte, so tat Emily es umso mehr. Ihre Stiefschwester hatte nie aufgehört, sich um sie zu sorgen. Und deshalb wünschte sich Abigail, wieder mit dem einzigen Menschen ihrer Familie vereint zu sein, der ihr etwas bedeutete. Irgendwie und irgendwann würde ihr das gelingen. Sie würde Emily wiedersehen und ihr dann endlich sagen können, wie wichtig die schwesterliche Zuneigung stets für sie war.
Abigail wusste jetzt, dass Emily ihr das Leben gerettet hatte. Auf mehr als ein Weise.
Während der Reise fiel es Abigail nicht schwer, ihre Mutter zu ignorieren, weil Angst und Schmerz ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Jeder Gedanke an ihre Zukunft löste eine Beklommenheit in ihr aus, die auch durch die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Emily kaum gemindert wurde.
Und auch
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