Im Blut vereint
Gesichtsfeld.
Sie kniff die Augen zusammen. Ein Mann stieß Anna Keane wankend gegen eine der Gefriertruhen.
»Lassen Sie mich los, verdammt noch mal!« Anna Keane schob den Mann weg. Er taumelte rückwärts gegen den Tisch, auf dem Kate gefesselt lag. Sie zuckte zusammen.
Dann sah sie sein Gesicht.
Es war der blonde Mann.
Der Mann, den sie bei Lisa MacAdams Trauerfeier gesehen hatte.
Der Mann, dem sie vor Dr. Gills Labor begegnet war.
Sein Gesicht war verzerrt.
Das war Craig Peters.
»Ihr Mädchen liegt gleich hier, Craig. Hinter Ihnen.« Anna Keane sprach leise; ihre Stimme bebte vor Angst. »Schauen Sie mal, es ist alles schon vorbereitet.«
Craig Peters nuschelte etwas. Er lag immer noch halb auf dem Einbalsamierungstisch, Kate spürte seinen schweren Körper auf ihren Beinen. Sie rührte sich nicht. Doch innerlich sträubte sich alles in ihr, denn nun hörte sie ihn sagen: »Ich will Sie …«
Anna Keane wich zurück und stolperte gegen eine der Gefriertruhen. Craig Peters stürzte sich auf sie. Etwas schepperte laut – sein Arm hatte das Tablett mit den Sektionsinstrumenten zu Boden gerissen, die gleich neben dem Einbalsamierungstisch bereitlagen. Die Instrumente, mit denen er Kates Leben ein Ende setzen und sie stückchenweise in die Gefriertruhen von
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befördern sollte.
Die Geräte flogen in alle Richtungen. Ein heißer, stechender Schmerz flammte in ihrem Oberschenkel auf. Kate zuckte zusammen. Irgendetwas hatte sie getroffen. Aus halb geschlossenen Augen blickte sie an sich hinunter und entdeckte den Griff eines Skalpells. Die Klinge steckte in ihrem Bein. Die übrigen Instrumente lagen ringsum auf dem Boden.
»Craig, Sie brauchen mich doch gar nicht«, rief Anne Keane aus. »Sie haben doch
sie
. Sie liegt schon bereit! Und sie will es ja selbst.« Die Angst war nicht mehr zu überhören. Sie lag wie ein neuer Geruch in der stickigen Luft.
»Tut nicht weh«, stieß Craig Peters keuchend hervor. »Versprochen.« Seine Stimme erinnerte an das Knurren eines Tiers. Er bewegte sich wie ein Roboter. Steif und starr, als wollte er Frankensteins Monster nachahmen. Es wäre fast zum Lachen gewesen. Wäre da nicht der Ausdruck in seinen Augen gewesen. Anna Keane war so gut wie tot.
Die Bestatterin drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Craig Peters stürzte hinterher. Kate schaute sich verzweifelt um.
Sie war allein … so lange, bis der Kampf auf Leben und Tod zwischen Anna Keane und Craig Peters entschieden war. Danach würde der Überlebende
sie
umbringen.
Nebenan krachten Kisten zu Boden. Kate versuchte die Geräusche auszublenden: Craig Peters’ Attacke, Anna Keanes verzweifelte Schreie. Die Skalpellwunde in ihrem Bein brannte wie Feuer.
Du musst hier raus. Konzentrier dich.
Sie winkelte die Knie an. Schmerz schoss durch ihren Oberschenkel. Sie streckte die Hände nach dem Griff des Skalpells aus.
Sie kam nicht heran.
Sie zog die Knie Richtung Bauch. Ein Glück, dass sie so viel joggte. Die Muskel im rechten Oberschenkel begannen zu zittern, doch sie schaffte es, die Beine in dieser Haltung zu lassen, während sie über den Oberschenkel tastete.
Ihre Finger berührten warmes Blut. Sie war nahe dran.
Ein erstickter Schrei schreckte sie auf. Er klang wütend und verzweifelt. Kates Hände begannen zu zittern. Anna Keane war dabei, den Kampf zu verlieren. Kates Magen verkrampfte sich vor Angst. Plötzlich musste sie unbedingt pinkeln.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
In Gedanken wiederholte sie die Worte immer wieder.
Anna Keane fing an zu betteln. »Nein! Craig, bitte! Nein!«
Kate kniff die Augen zusammen, wiederholte in Gedanken ihr Mantra und versuchte, Annas Flehen auszublenden. Sie tastete erneut nach dem Skalpell. Sie bekam den Griff zu fassen. Und zog. Erst rührte sich nichts, dann glitt die Klinge heraus, gegen einen seltsam saugenden Widerstand an, als wollte Kates Bein sie nicht freigeben.
Ihre Hand war voller Blut. Warm und rot strömte es aus der Wunde. Ihre Oberschenkelmuskel erschlafften. Kate achtete nicht darauf. Sie wälzte sich auf die Seite. Vor ihr drehte sich alles.
Konzentrier dich. Schau auf den Fleck da am Boden.
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass das ihr eigenes Blut war.
Sie winkelte die Ellbogen an und hob die Handgelenke auf Augenhöhe. Vorsichtig nahm sie den Griff des Skalpells in den Mund und klemmte ihn zwischen die Zähne. Dann richtete sie die Spitze der Klinge auf den Knoten des Schlauchs, mit dem ihre Hände gefesselt
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