Im Blut vereint
Geräusch, das Ethan unbeschreiblich, aber auch unvergesslich fand. Dr. Guthro legte das Gehirn auf die Waage und ließ die Assistentin das Ergebnis notieren.
Dann kam er zu Ethan herum und schob den Gesichtsschutz nach oben. »Fürs Erste sind wir fertig. Der Auftrag für die Toxikologen geht gleich raus. Spätestens morgen früh sollten wir die Ergebnisse haben.«
Ethan griff nach seiner Aktentasche. Er sehnte sich nach frischer Luft. »Vielen Dank, Dr. Guthro.«
»Gern geschehen. Ich hoffe, wir finden etwas.«
Ethan nickte. »Ich auch.« Er ging zur Tür. Während er seinen Kittel ablegte, blickte er noch einmal zu dem nun blutigen Autopsietisch hinüber. Die Assistentin legte eben die Organe in Lisas Bauchhöhle zurück. Dr. Guthro fädelte eine Nadel ein.
Ethan schaute ihm einen Moment lang zu. Eigentlich war es Aufgabe der Assistentin, die Leiche wieder zuzunähen. Aber Dr. Guthro machte es immer selbst, er verschloss die Schnitte genauso sorgfältig, wie er sie ausgeführt hatte.
Lamond lehnte im Gang vor den Autopsieräumen an der Wand. Er brachte ein verlegenes Lächeln zustande. »Tut mir leid. Wird nicht wieder vorkommen.«
»Da bin ich mir sicher.« Ethan schlug ihm auf den Rücken. »Los, gehen wir was essen. Wir kommen an einer Hamburgerbude vorbei.«
13
Als sie vor dem Revier hielten, blickte Ethan auf die Armbanduhr. Es war 21:08 Uhr. Er hatte Sodbrennen. Das hatte er nun davon, dass er Lamond zu Fast Food verleitet hatte.
Im Einsatzraum kam ihnen augenblicklich Redding entgegen. »Drake, Lamond, die Großmutter des Opfers möchte Sie sprechen. Mrs MacAdam. Sie ist seit einer Stunde hier.« Er zögerte kurz. »Sie weint die ganze Zeit.«
»Wo ist sie?«, fragte Lamond und straffte zum zweiten Mal an diesem Tag die Schultern. Erst Richterin Carson, jetzt Lisas Großmutter. Es war ein langer Tag gewesen.
»Im sanften Vernehmungszimmer.« Das »sanfte« Zimmer war für Angehörige und Kinder vorgesehen. Es war mit Polstermöbeln und einem Couchtisch eingerichtet, im Gegensatz zum »harten« Vernehmungszimmer, in dem es nur Holzstühle gab und keinen Tisch. Bei der Vernehmung eines Verdächtigen wollte man keine Barriere zwischen sich und dem Gegenüber haben.
»Hören Sie, Lamond, ich weiß, Sie sind Ansprechpartner für die Angehörigen, aber das hier sollte ich selbst übernehmen. Richterin Carson hat mir ein paar Dinge erzählt, die ich im Gespräch mit Lisas Großmutter verifizieren muss.«
Lamond zögerte. Der Wunsch, sein Können zu beweisen, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Aber Ethan musste Mrs MacAdam selbst befragen. Und dass Lamond dabeisaß, war sinnlos. Dazu mussten sie zu vielen anderen Hinweisen nachgehen. »Setzen Sie sich inzwischen mit Mr MacAdam in Verbindung. Und mit jedem anderen Verwandten, der etwas wissen könnte.«
Lamond nickte. »In Ordnung.«
Ethan klopfte leise an die Tür des Vernehmungszimmers und trat ein. Mrs MacAdam saß in sich zusammengesunken auf dem Sofa. Auf dem niedrigen Tisch vor ihr standen eine Schachtel Papiertaschentücher und eine Tasse Tee, die sie nicht angerührt hatte.
Ethan ging zu ihr. »Mrs MacAdam, ich bin Detective Drake.« Er gab ihr die Hand. Ihre war eiskalt und schlaff.
Ethan setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. »Mrs MacAdam, Ihre Enkelin ist Opfer eines schrecklichen Verbrechens geworden.« Mrs MacAdam nickte, und die Tränen traten ihr erneut in die Augen. Ethan fügte rasch hinzu: »Ich verstehe, dass das alles sehr schwer für Sie ist, aber bitte beantworten Sie meine Fragen, so gut Sie können, damit wir denjenigen fassen, der Lisa das angetan hat.«
Marian MacAdam räusperte sich. »Natürlich.« Ihre Stimme war fester, als Ethan erwartet hatte.
Er begann mit seinen Fragen zu Lisas Lebensumständen. Die Antworten der alten Dame bestätigten, was Richterin Carson ausgesagt hatte. Offenbar hatte Lisa die meiste Zeit über tun und lassen können, was sie wollte. Mrs MacAdam hatte versucht, sie trotzdem im Auge zu behalten, indem sie sie nach Schulschluss oder zum Abendessen zu sich eingeladen hatte.
»Aber das ging nicht jeden Tag. Ich hatte noch anderes zu tun …« Sie wurde rot. »Sie wissen schon, Treffen mit Freundinnen, Bridgeklub, dies und das. Außerdem hätte ich gar nicht verlangen können, dass sie jeden Tag kommt. Das Sorgerecht hat ihre Mutter. Deshalb …« Sie hielt plötzlich inne.
»Ja …?« Er spürte ein Kribbeln im Nacken.
Mrs MacAdam biss sich auf die Lippen. »Sie werden es ohnehin
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