Im Blut vereint
Kate. Ihre Stimme klang hoch und gepresst.
Schön langsam und ruhig atmen.
Anna Keane schaute sie aufmerksam an. »Aha. Und zu welchem Zweck?«
»In erster Linie, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen.« Das hörte sich zum Glück schon etwas selbstsicherer an.
»Ihnen ist doch sicher klar, Ms Lange, dass wir über die Privatangelegenheiten unserer Kunden keine Auskunft geben dürfen.«
Es führte kein Weg daran vorbei: Wenn Kate etwas von ihr erfahren wollte, würde sie Anna Keane gegenüber offen sein müssen. »Okay, es geht um Folgendes, Ms Keane. Ich kenne die Familie von Lisa MacAdam.« Dass der Name Anna Keane etwas sagte, war nur am leichten Heben ihrer Brauen zu erkennen. »Eine Freundin von Lisa hat ihrer Großmutter erzählt, dass noch andere Mädchen verschwunden sind.« Anna Keane hob die Brauen etwas höher. »Bis auf ein Mädchen scheinen sie alle tot zu sein. In einem der Fälle hat sich Ihr Institut um die sterblichen Überreste gekümmert.«
Anna Keane lehnte sich zurück, den Blick fest auf Kate gerichtet. »Wie heißen diese toten Mädchen?«
»Krissie Burns, Lisa MacAdam und Karen Fawcett.« Krissies Identität war heute früh der Presse mitgeteilt worden, daher verriet Kate nichts, was sie nicht hätte preisgeben dürfen.
»An die ersten zwei Namen erinnere ich mich natürlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Was für eine Tragödie, das mit der kleinen Lisa MacAdam.«
»Können Sie sich auch noch an Karen Fawcett erinnern? Sie war auch ein Straßenkind oder eine Prostituierte. Sie ist letzten Februar verstorben. Ihr Institut hat die Bestattung übernommen.«
Anna Keane lächelte müde. »Mit Leuten wie dieser Karen haben wir sehr oft zu tun. Öfter, als Sie sich vorstellen können.« Sie zuckte die Schultern. »Als die Stadt damals einen Kostenvoranschlag für die Bestattung mittelloser Personen angefordert hat, dachte ich, das würde nicht viele Aufträge einbringen. Hätte ich gewusst, dass es so viele werden, hätte ich mehr veranschlagt. Für uns ist das kein gutes Geschäft, Ms Lange.«
»Warum nicht?«
»Unser Vertrag sieht nur eine einfache Einäscherung und Beisetzung vor. Wenn dann plötzlich die Angehörigen auftauchen – und Sie würden staunen, wie viele Menschen jemanden betrauern wollen, den sie zu Lebzeiten stets abgewiesen haben –, dann verlangen sie oft sämtliche Extras. Sozusagen als Wiedergutmachung für all die Jahre, die ihr geliebter Verwandter auf der Straße verbracht hat. Sie wollen eine Trauerfeier, Blumen, eine Urne. Das alles müssten sie selbst bezahlen. Meist haben sie aber kein Geld.« Sie zögerte. »Wenn ich den Eindruck habe, dass die Trauer echt ist, schreibe ich die Extras als wohltätige Spende ab.«
In Anna Keanes Blick lag etwas Nachdenkliches.
Sie ist viel weichherziger, als sie tut,
dachte Kate. »Können Sie sich noch an Karen Fawcett und ihre Angehörigen erinnern? Die Polizei hat Lisas Freundin gesagt, sie sei erfroren.«
Anna Keane schloss kurz die Augen. Kate bemerkte die feinen Fältchen in ihren Augenwinkeln. Auch um ihren Mund zogen sich tiefe Furchen. Es war bestimmt nicht leicht, jeden Tag mit dem Tod zu tun zu haben.
Anna Keane öffnete die Augen wieder und fing Kates Blick auf. »Wenn ich mich recht erinnere, war Karen Fawcett ziemlich jung? Achtzehn oder zwanzig vielleicht?«
»Das dürfte stimmen.«
»Man hat sie erfroren auf einem Golfplatz gefunden. Eine von diesen jungen Frauen, die ihre Drogensucht mit Prostitution finanzieren.«
»Woher wissen Sie, dass sie Drogen genommen hat?«
»Wenn sie die ist, an die ich mich erinnere, waren ihre Arme voller Einstichnarben. Die Venen waren völlig hinüber. Wir haben sogar Einstiche zwischen den Zehen gefunden. Sie war ein echter Junkie.«
Diese Frau musste die Geheimnisse sehr vieler Toter kennen. Der Gedanke machte Kate nervös. Sie hoffte nur, dass ihre Leiche später einmal ihre Geheimnisse wahren würde.
»Was ist mit den Angehörigen?«
Anne Keane schüttelte den Kopf. »Bei ihr lief alles nach Vertrag – Einäscherung und Beisetzung auf einer städtischen Parzelle. Ihre Angehörigen haben sich erst später blicken lassen.« Sie zuckte die Schultern. »Das ist leider schon alles, was ich Ihnen sagen kann.« Sie erhob sich.
Kate stand ebenfalls auf. »Vielen Dank, Ms Keane. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.«
Anna Keane begleitete Kate zur Tür. »Ich hoffe, ich konnte Ihr Gewissen beruhigen.« Sie lächelte etwas gequält. »Eigentlich sollen wir Bestatter uns ja
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