Im Blut vereint
zu können, dass die Umstände von Karen Fawcetts Tod tatsächlich so harmlos waren, wie die Polizei glaubte.
Sie rieb sich die Schläfen. Es gab noch eine letzte Möglichkeit: das Bestattungsinstitut, das sich um Karens sterbliche Überreste gekümmert hatte. Vielleicht bekam sie dort ein paar Auskünfte. Sie notierte sich die Adresse.
Plötzlich hielt sie inne. Sie blickte auf das, was sie gerade geschrieben hatte. In diesem Bestattungsinstitut war sie schon einmal gewesen. Vor fünfzehn Jahren hatte es noch
O’Brien’s Funeral Home
geheißen.
Die Geister der Vergangenheit wollten nicht aufhören, sie zu verfolgen. Kate hoffte nur, dass das nicht immer so blieb.
25
Kate hängte sich die Handtasche um und versuchte, nicht allzu unsicher dreinzuschauen, während sie den Flur der Kanzlei entlangeilte. Es war 16:45 Uhr, ein wenig früh, um schon zu gehen. So früh hatte sie ihren Arbeitstag bei LMB noch nie beendet. Die anderen neuen Mitarbeiter waren bestimmt alle noch da.
Im Stadtzentrum herrschte zähflüssiger Verkehr. Erst um 17:20 Uhr kam sie beim Bestattungsinstitut an. Es war ein großes und weitläufiges Gebäude, das von einem einfachen Klinkerbau zu einer Villa in griechischem Stil mit weiß verkleideten Mauern und dicken Säulen umgebaut worden war. Kate hätte es nie als das Haus wiedererkannt, in dem der Sarg ihrer Schwester gestanden hatte.
Sie drückte auf die Klingel neben der breiten Eingangstür. Trotz der kühlen Luft waren ihre Hände feucht vor Schweiß. Hastig wischte sie die Handflächen am Rock ab.
Die Tür wurde geöffnet. Für einen Moment – den Bruchteil einer Sekunde – hatte sie damit gerechnet, den vorherigen Bestatter Mr O’Brien in der Tür stehen zu sehen.
Stattdessen öffnete eine blonde Frau Mitte vierzig. »Hallo. Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie. Sie war stämmig gebaut und sprach rau, doch ihre Kleidung war sehr gepflegt: Sie trug ein schickes schokoladenbraunes Kostüm mit blassrosa Nadelstreifen, dazu braune Wildlederpumps und als einzigen Schmuck klobige goldene Ohrringe.
Kate nahm an, dass dies Anna Keane war, die sich von einfachen Anfängen hochgearbeitet, Mr O’Briens angejahrtes Beerdigungsinstitut gekauft und es zu einem der größten und erfolgreichsten Bestattungsunternehmen an der Ostküste gemacht hatte.
»Ms Keane?«
Die Frau lächelte. Ihre Zähne leuchteten strahlend weiß zwischen ihren geschminkten Lippen hervor. »Ja.«
»Ich bin Kate Lange von
Lyons McGrath Barrett
. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten könnten.« Als Kate den Namen ihrer Kanzlei erwähnte, merkte sie, wie sich das gebräunte Gesicht der Frau verhärtete. Wahrscheinlich dachte sie, jemand wolle sie wegen einer verpfuschten Einbalsamierung verklagen. Kate lächelte beschwichtigend. »Ich komme nicht im Auftrag eines Mandanten.«
Anna Keane entspannte sich trotzdem nicht. »Warum unterhalten wir uns nicht in meinem Büro?«, sagte sie steif und ließ Kate eintreten.
Kate sah sich im Foyer um. Ihr Herz klopfte schon, seitdem sie den Wagen vor dem Haus geparkt hatte, und jetzt schlug es wie verrückt. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Genau wie damals mit sechzehn.
Weiteratmen. Du hast es schon einmal geschafft. Du schaffst es wieder.
Anna Keane ging mit raschen Schritten voraus. Kate eilte hinterher. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass man die Innenräume umgestaltet und dem heutigen Geschmack entsprechend schlicht, aber elegant eingerichtet hatte. Dabei hätte Kate beim Eintreten geschworen, dass alles noch so altmodisch aussah wie vor fünfzehn Jahren.
Anna Keane führte Kate in ihr Büro. Es war ein ansprechender Raum mit einem Schreibtisch in schimmerndem Mahagoni und mehreren dunkelblauen Sesseln. Nicht viel anders als Kates eigenes Büro, wie sie ein wenig unbehaglich erkannte. Geschäft war Geschäft.
»Bitte setzen Sie sich.« Anna Keane deutete auf einen runden Besprechungstisch in der Ecke. Eine Vase mit weißen Vergissmeinnicht stand exakt in der Mitte. Kate setzte sich.
Anna Keane nahm ihr gegenüber Platz. »Was führt Sie zu mir?« Sie lächelte, doch Kate ließ sich dadurch nicht täuschen. Anna Keane wollte die Gesprächsführung an sich ziehen. Und obwohl sie sich gelassen gab, spürte Kate, dass sie nervös war. Kate fragte sich, ob Anna Keane ahnte, dass es ihr genauso ging.
»Ich benötige Hintergrundinformationen zu einigen Frauen, deren Angehörige bei Ihnen Kunde waren«, sagte
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