Im Blut vereint
seinem Vorteil nutzte. Glücklicherweise war die Prognose für diese Woche gut. Was nicht nur die regenmüden Menschen freute, sondern auch der Polizei einen hochwillkommenen Aufschub bot.
Während Kate ihren Salat aß, hörte sie über Lautsprecher ihre Mailbox ab und notierte Telefonnummern. Die ersten sechs Nachrichten waren nichts Außergewöhnliches: Anwälte, die sich mit ihr absprechen oder Termine vereinbaren wollten, und Mandanten, die nach Neuigkeiten fragten. Doch bei der siebten Nachricht ließ Kate die Gabel sinken und hörte aufmerksam zu.
Im Gegensatz zu den kultivierten Erwachsenenstimmen, die sie bisher gehört hatte, sprach hier ein junges Mädchen, stockend und rau. »Hier ist Shonda. Sie haben ja gesagt, ich soll anrufen, wenn mir der Name von diesem toten Mädchen einfällt, von Karen.«
Kate griff zum Telefonhörer.
»Ja also, plötzlich hab ich ihn wieder gewusst. Sie hieß Karen Fawcett.«
Es klickte, und dann ging es im gewohnten Stil weiter. Kate spielte die Nachricht noch einmal ab, notierte sich Karen Fawcetts Namen und löschte dann die Aufzeichnung.
Die Schrift auf dem Notizblock verschwamm vor ihren Augen. Shonda hatte ihr Versprechen gehalten. Sie ihres noch nicht.
Sollte sie versuchen, Shonda zu erreichen? Ethan hatte sie aufgefordert – nein, ihr geradezu befohlen –, es nicht zu tun, sondern alles der Polizei zu überlassen. Sie könnte die Ermittlungen gefährden. Sie könnte ungewollt dazu beitragen, dass der Mörder nie verurteilt wurde.
Aber Karen Fawcett wurde nicht vermisst. Sie war tot. Und die Cops gingen davon aus, dass sie erfroren war. Also würden sie sie gar nicht beachten. In ihrem Fall konnte Kate halten, was sie Shonda versprochen hatte, ohne die Ermittlungen zu gefährden. Und ihr Versprechen zu erfüllen war im Augenblick das Einzige, was Kate Trost verhieß.
Sie musste nichts weiter tun, als nachzuprüfen, ob die Prostituierte wirklich durch Erfrieren zu Tode gekommen war. Am leichtesten würde sich das anhand des Totenscheins feststellen lassen. Aber als Kate ihn online einsehen wollte, stellte sie fest, dass man auf solche Dokumente nur mit Erlaubnis der Angehörigen Zugriff hatte.
Sie starrte auf den Computerbildschirm. Es gab noch eine andere Möglichkeit. Die Todesanzeige für Karen Fawcett. Aus dem Text ließ sich vielleicht etwas zur Todesursache entnehmen. Und die Anzeige war öffentlich zugänglich. Kate fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Sie hasste es, Todesanzeigen zu lesen. Sie hasste es, seit sie ihrer Mutter hatte helfen müssen, die Anzeige für ihre Schwester aufzusetzen. All die Plattitüden wie »hat tapfer gekämpft« waren ihr zuwider. Weil der Kampf am Ende doch nie gewonnen wurde.
Kate hämmerte mit den Fingern auf die Tastatur ein, als könnte sie sich so Mut machen. Nach wenigen Minuten hatte sie das Archiv für Todesanzeigen bei der Lokalzeitung gefunden. Über den Erfolg vergaß sie ihr Widerstreben: Die Datenbank enthielt auch Karen Fawcetts Todesanzeige.
Kate überflog den kurzen Text. Karen war im vergangenen Februar verstorben. Die Todesursache wurde nicht erwähnt; in der Anzeige hieß es lediglich, der Herr habe Karen Marie »plötzlich« zu sich gerufen. Diese unklare Ausdrucksweise war Kate auf schaurige Art vertraut. Bei Imogen hatte auch niemand schreiben wollen, dass sie bei einem Autounfall zu Tode gekommen war, weil schließlich die eigene Schwester am Steuer gesessen hatte.
Die Todesanzeige war erbärmlich kurz. Entweder hatten Karens Angehörige sich einen längeren Text nicht leisten können, oder es war ihnen zu wenig zu ihrer toten Tochter eingefallen. Kate trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Manchmal gab eine Bitte um Spenden für einen bestimmten wohltätigen Zweck einen Hinweis darauf, woran der Betreffende gestorben war. Aber hier wurde so etwas nicht erwähnt. Die Trauernden wurden lediglich darauf hingewiesen, dass die Beerdigung durch das Bestattungsunternehmen
Keane’s Funeral Home
ausgerichtet wurde.
Es klopfte an der Tür, und Kate drehte sich um.
»Ihr Dreizehn-Uhr-Termin hat abgesagt. Sie hat sich für morgen einen neuen Termin geben lassen«, teilte Liz ihr mit. Dabei blickte sie kurz zu Kates Computer.
Kate nickte. »In Ordnung. Danke, Liz.«
Liz warf noch einen Blick auf den Bildschirm, dann verließ sie das Büro.
Kate fuhr den Computer herunter.
Noch eine Sackgasse.
Jetzt konnte sie Marian MacAdam und Shonda überhaupt nichts sagen. Sie hatte gehofft, ihnen versichern
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