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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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die er gern hörte, ein Geruch, der nicht der der neuropsychiatrischen Abteilung war, den er nicht loswurde.
    Alles würde plötzlich zurückkommen, wenn er in die Wohnung käme. Davon war er überzeugt.
    Aber er musste doppelt vorsichtig sein.
    Der Winter schien die von der Kälte erstarrte Stadt noch nicht verlassen zu haben. Menschen gingen über die grauen Avenuen und kniffen die Augen zusammen, um sich vor dem beißend kalten Wind und Regen zu schützen. Er begann die Gesichter eingehend zu mustern. Wer weiß, vielleicht erkannte er ja seinen Vater, einen Freund, seine Lebensgefährtin wieder … Aber vielleicht wohnten sie auch ganz woanders, weit weg.
    Nachdem er über den Boulevard Montparnasse gefahren war, bog der Taxifahrer in die rue Champagne-Première und fuhr langsam an seinem Haus vorbei, was ihm erlaubte, die unmittelbare Umgebung zu inspizieren. Da ihm nichts Verdächtiges auffiel, ließ er sich vor der Kreuzung mit dem Boulevard Raspail absetzen und ging zur Nummer 6 bis zurück.
    Er war da.
    Er blickte nach oben. Die höchsten Dachfenster des sechsstöckigen bürgerlichen Wohnhauses schienen die blasslila Nacht zu berühren. Kein Zahlencode. Er drückte die Tür auf und betrat die Eingangshalle, in der automatisch das Licht anging. In welchem Stock wohnte er? Er sah sich die Briefkästen an und suchte seinen Namen unter den anderen. Nichts. Er blickte sich in der Halle um, einen Hausmeister schien es nicht zu geben. Er untersuchte seinen Schlüsselbund. Ein kleines Schlüsseletui aus blauem Plastik verbarg ein Stückchen abgenutzten Karton. Unter seinem fett gedruckten Namen erkannte er eine Reihe verstümmelter Zeichen – fünf rechts; er hatte dieses
Detail vergessen. Um unbemerkt zu bleiben, verzichtete Nathan darauf, auf den Lift zu warten, und ging leise die Stufen hinauf. Sein Atem ging regelmäßig. Er fühlte sich besser, seine Ängste hatten sich in Aufregung verwandelt, die in Wellen seinen Körper durchströmte. Er blieb vor einer massiven Eichentür stehen und untersuchte das Schloss. Keine Spuren eines Einbruchs. Er spitzte die Ohren, alles schien ruhig. Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. Er kehrte nach Hause zurück. Er atmete ein letztes Mal tief durch und ließ die Stahlschäfte klirren. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür geräuschlos auf die Dunkelheit.
    Nathan drückte den ersten Schalter, den er ertasten konnte, ohne Ergebnis. Er musste vor seiner Abreise den Strom abgestellt haben. Während er sich in der Dunkelheit vorwärts bewegte, konnte er das Knarren des Parketts unter seinen Füßen hören. Dem Echo nach zu urteilen, musste die Wohnung größer sein, als er gedacht hatte. Er ließ seine Hände über die glatten Wände gleiten, bis er auf den Schrank mit dem Stromzähler stieß. Er öffnete ihn und setzte seine Suche fort; schließlich berührten seine Finger einen kleinen Bakelithebel, der mit einem metallischen Geräusch kippte.
    Grelles Licht blendete ihn.
    Nathan schützte seine Augen mit dem Handrücken, bis seine Pupillen sich an das helle Licht gewöhnt hatten.
    Irgendetwas stimmte nicht.
    Der Flur … Verdammt. Er blickte zum Wohnzimmer.
    Alles … alles war leer.
    Er stürzte in die anderen Zimmer, machte jede Lampe an. Weiße, unberührte Wände. Nicht ein Möbelstück, kein Gegenstand, kein Foto. Nichts.
    NEIN! NEIN! NEIN! Mit Ausnahme einer Matratze und eines Telefons war diese Wohnung ebenso leer wie sein verdammter Schädel.
    Er irrte von Zimmer zu Zimmer, auf der Suche nach irgendetwas,
einem Zeichen, vergeblich. Eine heftige Übelkeit überfiel ihn, die Wände bedrückten ihn, er hatte das Gefühl, dass sie sich wie eine Zwangsjacke immer enger um ihn schlossen.
    Er bekam keine Luft, verstrickte sich in dem Albtraum …
    Sein Herumlaufen endete vor einem großen Spiegel, der provozierend über dem Kamin im Wohnzimmer prangte. Er näherte sich der Gestalt, die sich im Gegenlicht spiegelte, und stand einen Augenblick reglos da. Und da begriff er. Ja, ihm wurde jetzt klar, warum Lisa Larsen ihm die Besuche seiner Angehörigen, seiner Familie verweigert hatte. Sie hatte niemanden erreichen können, aber das hatte sie ihm nicht sagen können, ohne zu riskieren, ein erneutes Trauma auszulösen. Das war die einzig vernünftige Erklärung.
    Aber wer, wer war er?
    Während er sich mit seinen tränenfeuchten Augen betrachtete, hatte er das Gefühl, dass sein Wesen sich auflöste, in Stücke zerbrach wie eine monströse Missgeburt.

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