Im Blutkreis - Roman
seine Finger bis in die hintersten Winkel gleiten. Nichts als Ruß. Die Untersuchung der Kamine in den anderen Zimmern ergab ebenfalls nichts.
Er drehte sich im Kreis.
Er verbrachte noch eine weitere halbe Stunde damit, alles genauestens abzusuchen, um irgendeinen Hinweis zu finden, und sei er noch so dürftig.
Vergeblich.
Erneut packte ihn die Angst, aber er verdrängte sie. Er beugte
sich einen Augenblick aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich mit durchscheinenden Wolken bedeckt und begann, stahlgrau zu glitzern. Unten eilten bereits Passanten durch die Straßen. Nathans Gedanken gingen zu dem Durcheinander dieser vielen Menschen, die einer präzisen Bahn folgten und wussten, wohin sie gingen und dass andere auf sie warteten. Er beneidete sie, aber eine neue Lebenskraft durchströmte ihn, erhielt ihn am Leben: Er würde hier nicht weggehen, bevor er nicht etwas gefunden hatte.
Es war kurz vor zehn. Nathan setzte sich in den Flur und ging noch einmal den Unfallbericht durch. Eingehend studierte er jede Seite auf der Suche nach einem Hinweis, einem Detail, das ihm weiterhelfen würde. Und schließlich stieß er auf etwas. Unten auf der letzten Seite. Ein Stempel … Er war verwischt, aber die Buchstaben waren noch zu lesen. Ein Name, Jan de Wilde. Der Schiffsarzt, der Mann, der ihn nach Hammerfest gebracht hatte. Nathan konzentrierte sich, und es gelang ihm, seine Adresse in Antwerpen zu entziffern. Er würde bestimmt gesprächiger als Roubauds Assistentin sein. Er nahm den Hörer ab und tippte eine Ziffernfolge. Es klingelte viermal, dann meldete sich ein Anrufbeantworter. Nathan fluchte und knallte den Hörer auf den Apparat, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er hoffte, dass der Arzt nicht schon wieder auf See war.
Während er seine Gedanken schweifen ließ, musterte er das Faxgerät … Es war ein mittelgroßer, anthrazitfarbener Würfel. Nathan ließ seinen Blick über die Vorderseite des Geräts wandern: Ein kompakter Block von Tasten mit Zahlen wurde durch einen Streifen länglicher Tasten in lebhaften Farben von einem kleinen Bildschirm aus Flüssigkristallen getrennt. Direkt darüber standen die Marke und die Gerätenummer. Etwa fünf Zentimeter weiter oben stach ein roter, durchscheinender Knopf aus der Bedienungstafel hervor. Er richtete sich auf, um die Buchstaben darüber besser lesen zu können: MEMORY.
Wie hatte er das übersehen können?
Er drückte auf das Rechteck, und sofort begann der Bildschirm zu blinken. Die Diode gab kein Lebenszeichen von sich, aber im Speicher befand sich ein Fax. Nathan sprang auf und überprüfte das Papierfach. Leer. Er riss ein leeres Blatt aus seiner medizinischen Akte und schob es in die Maschine, die zu rattern begann. Einen Augenblick später hielt er das bedruckte Blatt in der Hand.
Der Briefkopf zeigte einen Elefanten, um den sich eine Schlange schlang. Darunter stand:
Istituzione Biblioteca Malatestiana.
Eine Bibliothek … Der Adresse war zu entnehmen, dass sie sich in Cesena befand, in Italien. Nathan las die kurze Nachricht auf Französisch, die mitten auf der Seite prangte.
Habe vergeblich versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Habe angefangen, an dem Elias-Manuskript zu arbeiten, es ist erstaunlich! Rufen Sie mich an, sobald Sie können.
Ashley Woods
Eine eingehendere Untersuchung ergab, dass das Fax am 19. März abgeschickt worden war. Vor vier Tagen also. Er wählte unverzüglich die Telefonnummer, die im Briefkopf angegeben war. Nachdem es dreimal geklingelt hatte, meldete sich eine männliche Stimme.
» Pronto ?«
»Guten Tag, sprechen Sie Französisch?«
»Ja, guten Tag, Monsieur, ich höre …«
»Ich würde gern Ashley Woods sprechen.«
» Signor Woods ist nicht da. Wenn es dringend ist, kann ich Sie mit seinem Assistenten verbinden.«
»Ja, danke.«
Das Warten kam ihm endlos vor.
»Lello Valente, si ?«
»Guten Tag, mein Name ist Falh, ich rufe aus Paris an. Ich habe ein Fax von Woods erhalten…«
Der Italiener unterbrach ihn abrupt: »Falh?«
»Ja, es geht um das ›Elias-Manuskript‹, das er…«
»Ach ja, natürlich! Elias, Elias. Entschuldigen Sie, Ihr Name war mir nicht mehr gegenwärtig. Wir sind uns leider nie begegnet, aber Ashley hat mir von Ihnen erzählt. Er versucht, Sie seit Tagen zu erreichen.«
»Deswegen rufe ich an, ich hatte eigentlich vor, ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Glauben Sie, dass das möglich wäre?«
»Gewiss, im Augenblick ist er in Rom, aber er dürfte am Abend zurückkommen.
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