Im Blutkreis - Roman
Repressionen des Römischen Reichs gegen die Christen von Alexandria. Jahrhundertelang verfolgten, folterten und ermordeten die Kaiser Tausende von Menschen, die kein anderes Verbrechen begangen hatten als das, an einen einzigen Gott zu glauben. Um diesen Massakern zu entgehen, flüchteten unsere Vorfahren unter die Erde, in die Nekropolen, in denen sie ihre Toten bestatteten, vor allem aber aus der Stadt hinaus … in die Wüste. Das war vermutlich die Geburtsstunde der ersten Mönche. Die Einsamkeit dieser Männer, ihr erzwungenes Leben fern der Stadt und der theologischen Unterweisung haben ein diffuses Konglomerat verschiedener Glaubensanschauungen entstehen lassen. Manche von ihnen haben eine Rückkehr zu den Quellen vollzogen, indem sie sich von den vornilotischen Traditionen inspirieren ließen. So erzählt man, dass sich im dritten Jahrhundert eine kleine Gruppe von Männern, genau gesagt sieben, die alle aus der Didaskaleia, der berühmten alexandrinischen Theologenschule, hervorgingen, unter der Führung eines gewissen Antonius aus Caesarea in die Wüste zurückgezogen haben sollen, um dort kein Kloster, sondern einen Stützpunkt für den Aufstand gegen Kaiser Diokletian zu gründen, der gerade eine beispiellose Welle der Verfolgung in Gang gesetzt hatte. Diese aggressive Haltung war zumindest ungewöhnlich, und schon bald ging das Gerücht um, sie seien im Besitz eines göttlichen und geheimen Talismans, eines qalfatîr : des Blutkreises.«
»Welcher Art war dieser Talisman?«
»Man spricht von einem von der Hand Christi geschriebenen Papyrus. Einem Text, dessen Tinte das Blut eines heiligen Ibis sein und die Geschichte des Messias, wie sie auf uns gekommen ist, in Frage stellen soll.«
Nathan spürte, wie es ihn eiskalt überlief.
»Was meinen Sie damit?«
»Angeblich enthüllt er, dass Jesus nicht der in der Bibel beschriebene Friedensbringer gewesen sei, sondern ein Kriegsführer im Kampf gegen Kaiphas und die römische Macht nach dem Vorbild der samaritanischen Aufständischen und der zelotischen Mörder. In moderner Sprache bedeutet das, dass er ein fundamentalistischer Jude gewesen wäre, der diejenigen zum Tode verurteilt hat, die sich dem Gesetz von Moses entzogen. Dieser Text wäre damit ein Aufruf zum bewaffneten Kampf. Gott soll auf der Suche nach dem Messias den Engeln befohlen haben, in die Körper von Antonius aus Caesarea und seiner Mönche zu schlüpfen, um das Werk Christi fortzuführen und diesen Kampf gegen den mit den Mächten des Bösen gleichgesetzten Unterdrücker erfolgreich zu Ende zu führen. Es gibt nur wenig Spuren der Gewaltakte, die diese Männer begangen haben, aber es heißt, sie würden jede ihrer Taten mit einem Blutkreis signieren.«
»Sprechen Sie weiter, bitte…«
»Als Kaiser Konstantin schließlich die Religionsfreiheit verkündete, sind die Kriegermönche und ihr Talisman von der Bildfläche verschwunden. Es scheint jedoch, dass diese Bewegung die folgenden Generationen beeinflusst hat, die während der Invasionen der Muslime zahlreiche gewalttätige Aufstände angezettelt haben. Aber diese Revolten wurden alle blutig niedergeschlagen und führten nur dazu, die christliche, jetzt Kopten genannte Bevölkerung mundtot zu machen, zu unterwerfen und zu versklaven.«
»Wollen Sie damit sagen, der Blutkreis ist… verschwunden?«, fragte Nathan.
»Nicht genau, er ist immer präsent, aber in anderer Form… Er war zu einer Art Fluch, zu einer Prophezeiung geworden. So wie die Offenbarung des Johannes verhieß er denjenigen den Tod, die das Leben der Christen in Ägypten bedrohten. Die Verfolgungen setzten schon bald wieder ein, und die Legende tauchte wieder auf. Die älteste Spur des Blutkreises in seiner prophetischen Form geht auf die Herrschaft des Despoten aus der Dynastie der Fatimiden, des Kalifen Al-Hakim bi-amr Allah, zurück. Er war einer der grausamsten Herrscher des islamischen Mittelalters, der die Kopten mit einer Inbrunst verfolgte, die an Wahnsinn grenzte. Mord, Zerstörung der Kirchen, Beschlagnahme des Besitzes … Er zwang die Christen auch, sich schwarz zu kleiden und Kreuze um den Hals zu tragen, die mehrere Pfund wogen. Aber kurz darauf sind der Kalif und viele von denen, die an den Gewalttaten beteiligt gewesen waren, an einer geheimnisvollen schleichenden Krankheit gestorben. Die Kopten standen bereits in dem Ruf, Zauberer zu sein, und manche beschuldigten sie, die Engel angerufen zu haben. Aber wen sollte man bestrafen? Man hätte ein
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