Im Blutkreis - Roman
ihn nochmals zurückrief.
»Junger Mann …«
Nathan blieb stehen und drehte sich um. Das Licht der Kerzen in der Krypta schien wie flüssiges Gold über den Schmuck und das zerfurchte Gesicht des alten Priesters zu rieseln.
»Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie suchen, aber seien Sie auf der Hut vor den Schatten, die auf Ihren Weg fallen…«
»Warum?«
»Weil sich unter ihnen derjenige Ihres Todes befindet.«
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Nathan brannte darauf, den Hinweisen nachzugehen, die er gerade bekommen hatte. Zuerst dachte er daran, Rhoda anzurufen oder zu versuchen, Kontakt zu Mitarbeitern von One Earth aufzunehmen, um zu sehen, ob das, was sie sagen würden, sich mit den Informationen deckte, über die er verfügte; aber das würde ihn letztlich nicht weiterbringen. Das war eine viel zu abgeschirmte Welt. Er winkte ein Taxi heran und fuhr direkt ins Cecil Hotel zurück. Als er auf seinem Zimmer war, zog er die Vorhänge zu, um den Raum ins Halbdunkel zu tauchen.
Darwischs Enthüllungen waren hochinteressant, und Nathan war dem Gelehrten gegenüber im Vorteil: Er wusste, dass der Blutkreis nie eine Legende gewesen war. Die letzten Teile des
Puzzles hatten sich soeben in seinem Bewusstsein ineinander gefügt. Er war kurz vor dem Ziel, das spürte er.
Aber ein Detail musste er noch überprüfen.
Er schaltete seinen Laptop ein und ging über die Telefonbuchse ins Internet. Wenn sein Verdacht begründet war, würde sich das, was er bereits wusste, bestätigen. Und dann hätte er auch das Motiv der Mörder.
Als sein Navigator auf dem Monitor erschien, klickte Nathan auf seine Suchmaschine und gab anschließend mehrere Suchbegriffe ein:
Verfolgungen – Christen – Pakistan – Bosnien – Ägypten
Er aktivierte den Suchbefehl. Der Rechner arbeitete eine ganze Weile, aber als die Seite mit den Ergebnissen erschien, begriff Nathan, dass seine Vermutung richtig gewesen war. Mehrere Seiten mit Links verwiesen ihn auf Presseartikel über die Christenverfolgungen überall auf der Welt. Er ließ die Seite mechanisch vor seinen Augen abrollen und klickte schließlich auf einen Artikel der Internetausgabe der Times vom 26. Februar 2002.
Zunahme der Verfolgungen
der
christlichen Minderheiten in der Welt
Ein Bericht, den mehrere Menschenrechtsorganisationen gemeinsam verfasst haben, zeichnet ein alarmierendes Bild der Christenverfolgungen, die überall auf der Welt ständig zunehmen.
In den betroffenen Ländern – China, Indien, Pakistan, Vietnam, Iran, Nigeria, Sudan – sehen sich die Christen täglich Repressalien ausgesetzt, die von Sklaverei über Mord, Plünderung und Folter bis hin zu Nahrungsentzug reichen.
Trotz des Auseinanderbrechens des kommunistischen Blocks, der im letzten Jahrhundert angeblich eine Grenze für die Diskriminierungen der Christen war, sind diese mehr denn je eine Realität und hallen wie das furchtbare Echo einer der schwärzesten Perioden der zeitgenössischen Geschichte wider. Es handelt sich um echte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber die Methode unterscheidet sich von derjenigen der Völkermorde, denn diese über die ganze Welt verstreuten Verfolgungen werden heute geschickt durch die Verfassungen und die ethnischen Kriege verschleiert und sehr oft von den Gesellschaften und selbst der Kirche ignoriert.
Aber die Autoren dieses Berichts begnügen sich nicht damit, die Tatsachen auf den Tisch zu legen, sie liefern auch eine Analyse der Vielfalt der Verfolgungsmethoden, die sich stets in einen historischen, politischen und religiösen Kontext einfügen, und unterscheiden zwischen der Verantwortung der Staaten und derjenigen fundamentalistischer Gruppen wie dem RSS (Nationales hinduistisches Freiwilligenkorps, Indien) oder dem Jamaat-e-Islami (Pakistan).
Für die zahlreichen (klandestinen) »Inlandskirchen«, die protestantischen in Honan und die katholischen in Hopei, ist die Bedrohung eine rein politische. Von Peking als »schädlicher Kult« angesehen, werden ihre Versammlungsorte zerstört und die Angehörigen des Klerus eingesperrt.
Ein anderes Gesicht der Verfolgungen: der Nationalismus. Indien, ein laizistisches Land, scheint seine Haltung geändert zu haben, seit die hinduistische Nationalpartei BJP 1998 an die Macht gekommen ist. Die Christen sind seitdem regelmäßig Opfer von regierungsnahen extremistischen Organisationen. Kirchen werden mit Plastikbomben in die Luft gesprengt, Bibeln verbrannt, Priester ermordet von den Nationalisten, die im Christentum eine
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