Im Blutkreis - Roman
Barkal … flammender Leviathan, dessen Hänge der Wind geformt hatte, geradewegs dem Schoß der Wüste entsprungen.
Und in der Dunkelheit der Berghänge – das schwarze Kloster.
53
Eine Wüstenfestung – geplant und erbaut als Zufluchtsort, als echter Ort des Widerstands.
Nathan kauerte sich nieder und beobachtete die unmittelbare Umgebung des Klosters. Er war noch ziemlich weit entfernt, aber er konnte die Kuppel aus Kalkstein, die Kirche, die Ringmauern erkennen. Auch wenn er sich nicht erinnerte, schon einmal hier gewesen zu sein, hatte er doch das Gefühl, diesen Ort wiederzuerkennen.
Kein Schatten, keine Gestalt. Alles wirkte verlassen.
Und doch wusste er, dass die Feinde dort waren, verkrochen in ihrer letzten Zufluchtsstätte. Und dass sie auf sein Kommen lauerten.
Warten. Er würde die Dämmerung abwarten müssen, um sich der Höhle zu nähern. Bis dahin wollte er die Örtlichkeiten genau erkunden. Sich einen Plan für sein weiteres Vorgehen zurechtlegen und einen Fluchtplan für den Fall, dass die Dinge eine schlechte Wendung nehmen sollten.
Er musste einen besseren Beobachtungsposten finden. Er musterte die Bodenerhebungen und bemerkte einen Felskamm, der ihm eine gute Sicht über den Ort bieten würde. Als er sich aufrichtete, taumelte er… Seine Hände suchten Halt, vergeblich. Sein Unwohlsein verstärkte sich… Er stürzte auf den Schotter.
Ein entsetzliches Geschrei brach in seinem Schädel los.
Er erstickte beinahe… aber ein schwaches Licht öffnete sich in ihm wie eine Öffnung auf eine andere Welt, ein anderes Bewusstsein, Bilder verschachtelten sich und woben ein Gespinst aus undeutlichen Erinnerungen.
Die Flügel eines Hubschraubers schneiden durch die Luft, die dick wie Treibstoff ist. Verstümmelte Körper, halb weggerissene,
von Angst und Hass gezeichnete Gesicher … Inständige Bitten, Klagen, Flüchtlingszüge … Hunderte von Händen mit hervortretenden Adern recken sich in einem letzten Aufbäumen des Lebens zum Himmel …
Sein Gedächtnis … sein Gedächtnis kehrte langsam zurück … Ein dumpfes Summen dröhnte in seinem Schädel, andere Augenblicke, andere ältere Orte überrollten ihn wie Feuerbälle.
Gewehrschüsse knallen, seine Mutter stürzt zu Boden. Seine kleinen Kinderbeine versagen. Die schwarze Mündung eines Gewehrlaufs zielt und schießt. Das Gesicht seines Vaters, einer Wachsmaske gleich … Der Atem des Tigers …
Die Fetzen seiner Vergangenheit traten einer nach dem anderen aus dem Vergessen heraus, ohne dass er ihnen einen Sinn zu geben vermochte…
Singsang steigt zum Himmel empor… Ein junger, schwarz gekleideter Mann. Auf dem Kopf trägt er ein Käppchen. Um seinen Hals eine Lederschnur, auf seiner Brust ein schweres Silberkreuz … Ein himmlisches Licht erleuchtet die Nacht und steigt zu ihm herab.
Alles blieb verworren, undeutlich, und doch verstand er jetzt seine Reaktion, diesen plötzlichen Ekel vor Rhodas nacktem Körper… das Verlangen, das immer stärker wird und zerplatzt … die Gewalttätigkeit, die ihn gepackt hatte.
Er hatte den Schwur, das seinem Fleisch eingebrannte Gelübde nicht zu brechen vermocht.
Ja, jetzt verstand er auch, warum er im Besitz des Manuskripts aus Saint-Malo war. Sein eigenes Schicksal verschmolz mit dem des jungen Arztes von damals … Woods hatte Recht, er war wie er… denn sie waren eins.
Wie Elias war er ein auserwählter Mönch.
Wie Elias war er das Gefäß des Engels Gafhaïl.
Wie Elias war er … einer von ihnen.
54
Die Nacht brach über die Wüste herein und löschte die Hitze, die Farben des Sandes und die zerschrammten Bodenerhebungen aus. Der Zeitpunkt war gekommen, auf die andere Seite zu wechseln, die letzte Reise in die Vergangenheit zu beginnen. Nathan zog seine Kleider aus und steckte sie in seine Tasche. Dann tauchte er in die dunklen Wasser des Flusses der toten Könige und Götter ein und ließ sich, an einen Baumstamm geklammert, in der Strömung zum anderen Ufer treiben. Der Sternenhimmel war eine Feuerschale, und die kühlen Fluten beruhigten ihn. Wie Orpheus, der geradewegs in seine eigene Finsternis ging, wusste er nicht, ob er überleben, ob er je wieder das Brennen der Sonne auf seiner Haut spüren würde. Und doch fühlte er sich jetzt frei von dem Gefühl des Entsetzens, das ihn so oft gepackt hatte, seit er aus dem Koma erwacht war. Er wusste jetzt, wo er hinging und was er zerstören musste, damit seine Seele und die all jener, die
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