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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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gestorben waren, für immer Frieden finden würden.
    Ein paar Meter vor dem Ufer suchte er mit seinen Füßen Halt im Schlick und zog sich auf die schlammige Böschung. Zitternd öffnete er seine Tasche, zog Schuhe und Kleider wieder an und wickelte dann seine Waffe aus. Mit präzisen Bewegungen schraubte er den Schalldämpfer auf das Gewinde der Mauser und schob sie dann zwischen Gürtel und Hüfte. Mit seinem Dolch schnitt er zwei Streifen aus dem Fahrradschlauch, streifte sie über seine Wade und steckte die Klinge hinein. Der Mond glitt hinter die Wolken hoch oben am Himmel. Nathan
packte einen Stein in seine Umhängetasche, versenkte sie im Fluss und ging dann in den Palmenhain hinein.
     
    Als er den Rand der Wüste erreicht hatte, sah er erneut die Umrisse des Klosters vor sich und weiter hinten die Nekropole, die sich vor dem dunklen Himmel abzeichnete. Sobald er den Schutz der Blätter verließ, würde er ungedeckt weitergehen müssen. Er dachte an den Leichnam von Casarès, an die Botschaft, die seine Brüder ihm hinterlassen hatten. Ab einem bestimmten Punkt hatten die Mönche ihn zu sich geführt. Das bedeutete, dass sie es wissen wollten … wissen, was geschehen war. Sie würden also nicht versuchen, ihn umzubringen, zumindest nicht sofort.
    Eine leichte Brise wirbelte den Staub auf. Das Kloster kam näher. Ein schwaches Licht ging von den Kreuzen und den bläulich schimmernden Kuppeln aus. Zwei kleine goldene Flammen, die in der Nacht flackerten, wiesen ihm den Eingang der Festung. Er ging langsamer und folgte mit den Augen der Linie der Ringmauern.
    Kein Laut, niemand.
    Nathan lief weiter und kam zu einem großen Hof aus gestampfter Erde, der ebenfalls von Lämpchen erhellt wurde. Zwischen den alten Gebäuden aus Erde und Kalkstein öffnete sich ein Labyrinth enger Gässchen. Er ging in einen Gang hinein, in dessen Wänden sich eine Holztür an die andere reihte: die Zellen der Mönche. Hier, im Zentrum dieses Ortes aus einer anderen Zeit, hatte er gelebt, hatte man den Mörder aus ihm gemacht, der er heute war. Etwas weiter entfernt erblickte er ein kleines Gebäude, das aus dem Boden ragte. Der Anblick der halb in der Erde verborgenen Tür ließ ihn erzittern. Das Grab … Immer wenn ein Bruder starb, legte man den Eingang frei, um seinen Körper dort hineinzuwerfen, der dort auf die Gebeine seiner Vorgänger traf… Nathan zögerte einen Augenblick, welche Richtung er nehmen sollte, aber dann sah er, als
er nach oben blickte, das Kreuz, die bernsteinfarbenen Lichtstrahlen, die aus den Fensteröffnungen nach draußen drangen, und die strahlend weiße Kuppel, die die anderen überragte.
    Die Kirche … Seine Schritte hatten ihn geführt.
    Dort warteten sie auf ihn.
    Mit dem Druck seiner Schulter drehte er die schwere Tür in ihren kreischenden Angeln und ging dann in das Gebäude hinein. Das Erste, was ihm auffiel, waren die dicken Kringel arabischen Weihrauchs, die noch durch das Kirchenschiff zogen … Er verbarg sich im Halbdunkel. Anders als die San-Marcos-Kathedrale in Alexandria bot der Ort ein Bild äußerster Entbehrung, ganz wie die Menschen der Wüste. Die Mauern, die Gewölbe waren nackt, zerfressen, die heiligen Fresken vom Zahn der Zeit halb zerstört … Er blieb vor einem Lesepult stehen, auf dem völlig zerlesene Messbücher lagen, und fuhr mit den Händen über das glatte Holz …
    Das Rascheln von Stoff ließ ihn zusammenfahren.
    Die Hand am Griff der Mauser durchforschte er die Dunkelheit des Chors, und diesmal sah er …
    Eine Gestalt im Schatten.
    Ein massiger Mann, zusammengekauert und in eine dicke Kutte aus schwarzem Rosshaar gehüllt, die wie ein Trauergewand wirkte. Seine kräftige Hand umklammerte einen Rosenkranz aus Holz, der über dem Boden baumelte. Der nach vorn gekippte Kopf ließ die Schädeldecke sehen, die mit dem Wollkäppchen der Mönche bedeckt war. Nathan erkannte die gestickten Sterne wieder und die dicke Mittelnaht, Symbole des Kampfs des Guten gegen das Böse.
    Als Nathan gerade ansetzte, etwas zu sagen, ließ ihn ein schweres Atmen, das sich wie Stöhnen anhörte, erstarren. Und dann richtete sich der ganze Körper des Mönchs auf, und das Gesicht eines Hünen wurde sichtbar: gegerbte Haut, leidende Augen, ein breiter, von Hass und Verzweiflung verzerrter Mund.

    Ganz langsam öffneten sich die Lippen einen Spalt, und eine heisere Stimme ertönte: »Du bist also zurückgekommen…«
    55
    Diese Stimme… Diese Gesichtszüge… Der heilige Ort

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