Im Blutkreis - Roman
lachen. Nathan packte seine neue Tasche, verstaute seine Waffe und seine übrigen Sachen, Fernglas, Fotoapparat und Dolch, darin. Dann schob er sich den Lederriemen um den Brustkorb und stand auf.
Als sie in die Kühle des Morgens hinaustraten, kamen die Gassen ihnen nach der ausgelassenen Stimmung vom Abend merkwürdig ruhig vor. Der Schlaf hatte sich auf das befestigte Dorf gesenkt. Nur ein paar Frauen kauerten vor den Flammen ihrer Reisigfeuer und erwärmten Kannen mit gezuckertem Tee, die Düfte von Kardamon und Ingwer verströmten, die sich mit dem beißenden Geruch des grauen Rauchs vermischten. Sie tranken jeder ein Glas des süßen, fast likörartigen Getränks. Dann luden sie ihre Sachen in den Wagen und verließen den Schatten der Dattelpalmen, die Sträucher und die zartgrünen Weiden, um zu der Piste zu fahren, die durch die Wüste führte. Nathan entdeckte schon bald eine Mondlandschaft, die ganz anders war als die, die er flüchtig gesehen hatte, als er sich Assuan genähert hatte. Die weiten Sandebenen hatten sich in eine endlose, rötlich ockerfarbene mineralische Fläche verwandelt, durchzogen von Dünen, die von Milliarden schwarzer Basaltsplitter und halb verdorrten Akazien übersät waren. Er saß stumm da, beunruhigt durch die zunehmende Gewissheit, dass die Landschaft immer stärker der seines Traums ähnelte, je weiter sie nach Süden kamen.
Als die Sonne senkrecht über der Wüste stand, fuhr Hischam langsamer, kontrollierte, dass sich von keiner Seite her jemand
näherte, und hielt dann mitten im Nirgendwo an. Sie befanden sich zehn Kilometer oberhalb von Karima.
Die Zeit war gekommen, sich zu verabschieden.
Nathan zog es vor, den Rest der Reise allein zu machen, um nicht entdeckt zu werden. Er stieg aus, in die glühend heiße Luft. Wind war aufgekommen, und der Staub peitschte sein Gesicht. Mit einer Hand entrollte er seinen Schal, biss in das eine Ende, um es festzuhalten, und wickelte den Rest des hellen Stoffstreifens um seinen Kopf, wobei er nur die Augen frei ließ, die die Farbe des Sandes und des Felsens angenommen hatten. Als er sich anschickte zu gehen, streckte Hischam ihm eine zur Faust geschlossene Hand entgegen.
»Nimm!«
Nathan schob seine Hand unter die des Hünen, der etwas hineinlegte, was wie kleine, staubige Kiesel aussah.
»Was ist das?«
»Getrocknete Feigen, Bruder, sie werden dir die Kraft geben, deine Reise zu beenden.«
Nathan schloss die Hand über dem Geschenk, das ihn wie ein kostbarer Schatz begleiten würde.
Er winkte Hischam zum Abschied zu und ging dann in nördliche Richtung.
Während Nathan sich entfernte, spürte er, wie Hischam seinen Blick auf seinen Rücken heftete und auf die Spuren seiner Schritte, die der Wind sofort verwehte; dann verschwand der Führer wie eine Luftspiegelung.
Nathan ging immer geradeaus, unerschütterlich, ohne eine Piste zu suchen, nur den unsichtbaren Spuren vertrauend, die ihn zur Wahrheit, zu seiner Erlösung führen würden.
Der Schweiß rann über seine Stirn, seinen Rücken, seinen Oberkörper. Er dachte an nichts mehr, nur daran, mit den Elementen eins zu werden. Der Wind, der immer heftiger wurde, schien jetzt über ihn hinwegzugleiten, durch ihn hindurchzugehen,
wie er durch einen Schatten gegangen wäre. Während er den vor Hitze flimmernden Horizont absuchte, hatte er bisweilen das Gefühl, Hütten aus Zweigen zu erkennen und Gestalten von Kindern mit zerzausten Haaren und Augen, glänzend wie Skarabäen, die hinter den Ziegenherden herumtollten, ohne zu wissen, ob sie wirklich existierten. Bald umfingen ihn Durst und Erschöpfung und ließen seine Lippen aufplatzen. Die Krallen der Baumgruppen zerrissen seine Kleider, zerkratzten seine Beine, aber das alles war nicht mehr wichtig.
Er begriff, dass das hier die wahre Wüste war, er begriff, warum die Engel sich hierher zurückgezogen hatten. Niemand konnte sie hier behelligen im Herzen dieses Nichts, das die Menschen abwies, das ihre Spuren verwischte und ihr Geheimnis, das Grauen ihrer Verbrechen verbarg.
Plötzlich tauchten die grünen Streifen, die Vegetation des Nils in einem Glitzern von Sand und Licht wieder auf. Der Fluss strömte majestätisch durch das Tal und öffnete auf seinem anderen Ufer einen unendlich weiten Raum, der sich bis zum Fuß des reinen Bergs erstreckte.
Alles war da. Genau wie in seinem Traum.
Die Nekropole Napata mit ihren kleinen ockerfarbenen, spitz zulaufenden, jahrtausendealten Pyramiden … Der Dschebel
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