Im Blutkreis - Roman
nur langsam voran, aber ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich auf etwas Interessantes stoße.«
Ein Gong und eine Stimme tönten durch die Halle des Terminals. Die Passagiere des Flugs BA 107 wurden aufgerufen.
»Ich muss Schluss machen, Ashley. Ich rufe Sie wieder an, sobald ich kann.«
»Gute Reise, mein Alter, passen Sie auf sich auf.«
Nathan unterbrach die Verbindung und schloss sich der Menge an, die sich drängte, um an Bord der Boeing 747 nach Nairobi zu gehen. Die Hauptstadt von Kenia – Drehscheibe des afrikanischen Flugverkehrs – war seine erste Station. Von dort würde er nach Kigali in Ruanda fliegen und dann nach Goma weiterfahren.
Er hatte die achtundvierzig Stunden, die auf Rhodas Abreise gefolgt waren, dazu benutzt, seine Reise vorzubereiten. Ein Visum für Ruanda zu erhalten, war nicht schwierig; was die Demokratische Republik Kongo betraf, so war es besser, es vor Ort zu kaufen. Der Osten des Landes, in dem seit dem Sturz von Mobutu Bürgerkrieg herrschte, war in der Hand der Rebellen der RCD, der kongolesischen Sammlung für Demokratie, die die offiziellen Dokumente der Regierung in Kinshasa nicht anerkannten.
Nathan hatte vorsorglich ein Zimmer in einem Hotel der Stadt reserviert – im Starlight –, das er aufs Geratewohl aus einer Liste ausgewählt hatte, die er von der Botschaft bekommen hatte. Der Direktor des Hotels hatte ihm versprochen, ihm »einen Abgesandten zu schicken«, der an der Grenze auf ihn
warten und die Einreiseformalitäten für ihn erledigen würde. Am Tag der Abreise schließlich war er durch die Hauptstadt gezogen, um seine Ausrüstung zu vervollständigen: ein Cape für den Regen, Fliegensprays und einen kompletten Apothekenkoffer: Malariatabletten, Erste-Hilfe-Kasten, Chlortabletten für das Wasser und Durchfalltabletten. Außerdem hatte er dreitausend Euro in Dollar umgetauscht und eine zweite Speicherkarte für seine Digitalkamera gekauft.
Der Flug war ausgebucht. Eine bunte Mischung, unglaublich fröhlich und lärmend, in der Safaritouristen neben Geschäftsleuten und Diplomaten, Europäer neben Afrikanern saßen. Das Aufeinanderprallen von Welten, die sich vermischten, ohne das Geringste voneinander zu wissen. Nathan machte es sich auf seinem Sitz bequem und schlief kurz nach dem Start ein.
Kurz vor halb sechs Uhr morgens öffnete er die Augen. Das Flugzeug befand sich im Anflug auf den Flughafen. Seine Nachbarn erwachten einer nach dem andern, groggy, als würde der fröhlichen Ausgelassenheit des Abends zuvor ein schrecklicher Kater folgen. Er drehte den Kopf. Draußen wurde es gerade Tag, lange Nebelstreifen schwebten wie Gespenster über die weiten Ebenen Afrikas. Ein paar trübe Lampen schimmerten in der Ferne. Sie hatten eine Stunde Verspätung.
Nathan schaffte es gerade noch, seinen Anschlussflug zu erreichen.
Als alle Passagiere an Bord waren, startete das Flugzeug in Richtung Westen. Nairobi blieb in der grauen Morgendämmerung zurück, endlose braune Wüstenflächen, Felsspitzen und ein paar Wasserläufe, die von schmalen Vegetationsbändern noch betont wurden, tauchten jetzt auf. Dann wurde die Maschine von einer riesigen blasslila Wolke geschluckt.
Knapp eine Stunde später flog der Pilot eine Linkskurve, verringerte die Drehzahl und steuerte in einem Fünfzig-Grad-Winkel der Erde entgegen. Eine andere Welt bot sich Nathans Blick.
Die Wüste hatte sich in eine Landschaft aus grünen Hügeln verwandelt, die kümmerlichen Wasserläufe waren zu einer triefenden, purpurroten Haarpracht geworden. Eine gewalttätige, lebensstrotzende Welt von verblüffender Kraft. Während er sich dem Boden näherte, spürte Nathan, wie eine quälende Angst aus seinem tiefsten Innern hochstieg und sich in seinen Adern ausbreitete. Aber das war nicht die Furcht, in diese Region ohne Glaube und Moral einzutauchen. Nein, denn er kannte diese Gegend. Er war schon einmal hier gewesen, das Gedächtnis seines Körpers hatte die Erinnerung daran bewahrt.
Und genau das beunruhigte ihn.
Nathan verließ das Flugzeug im strömenden Regen, der seine Sturzbäche über das Rollfeld ergoss. Es herrschte Regenzeit. Tropfnass betrat er den Flughafen von Kigali. Ein paar Minuten später war auch seine Reisetasche da, ebenso durchnässt wie er. Er kam problemlos durch den Zoll und ging in Richtung Ausgang, wo ein Dutzend Taxifahrer warteten. Mittags stieg er in einen Toyota Land Cruiser und machte sich auf den Weg in die Demokratische Republik Kongo.
Die Erde Afrikas
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