Im Blutkreis - Roman
geteerte Straße der Stadt entlang, eine gerade Linie, die die schönen Viertel mit dem Flughafen verband. Der Regen hatte nachgelassen, aber überall waren die Schäden zu sehen, die die Schauer verursacht hatten. Die Straßen von Goma waren buchstäblich überschwemmt von riesigen Schlammpfützen, in denen zwischen Bergen von Abfall die Kadaver von Ziegen oder streunenden Hunden trieben.
Die Büroräume, die an ein bescheidenes Krankenhaus grenzten, hatten etwas von einer Familienpension, einem Lager und einer Werkstatt. Nathan bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich am Eingang der Medikamentenausgabe drängte, und stellte sich am Empfang vor. Eine Minute später wurde er in das Büro der »Chefin« geführt.
Doktor Phindi Willemse war eine große Frau in den Vierzigern mit sehr schwarzer Haut. Sie trug ein buntes, geschürztes Kleid und sehr kurzes Haar, und ihr vornehmes eckiges, dunkel schimmerndes Gesicht wirkte wie aus einem Basaltblock geschnitten. Sie begrüßte Nathan mit einem herzlichen Händedruck und forderte ihn auf, Platz zu nehmen.
»Was kann ich für Sie tun, Monsieur …«
»Nathan Falh. Ich danke Ihnen, dass Sie mich empfangen.«
Während er die Welt seiner Gesprächspartnerin eingehend musterte, die aus einem Resopalschreibtisch bestand, auf dem ein Computer und ein Schild mit ihrem Namen standen und Berge von Akten sich türmten, tischte Nathan die Lüge auf, die er sich unterwegs zurechtgelegt hatte: »Ich bin Journalist, ich recherchiere über die Prozesse des Internationalen Gerichtshofs Ruanda betreffend. Ich interessiere mich für die des Völkermords angeklagten Hutu, die noch immer in Freiheit sind.«
Obwohl es ein wenig gewagt war, lieferte dieses Alibi einen
perfekten Vorwand, um die Orte zu besuchen, die ihn interessierten, und die entsprechenden Fragen zu stellen.
»Für welche Zeitung arbeiten Sie?«
»Ich bin freier Journalist. Ich verkaufe meine Reportagen an den, der mir am meisten dafür bezahlt.«
»Das ist eine etwas riskante Arbeitsweise.«
»Ich habe das Risiko noch nie gescheut … Das erlaubt mir auch, meine Meinung frei zu äußern.«
»Ich verstehe … Wissen Sie, wen genau Sie suchen?«
Nathan hielt den Atem an. Er musste sie behutsam dorthin führen, wo er sie haben wollte. Diese Frau verfügte über die Macht und die Kontakte, die ihm ermöglichen würden, seine Nachforschungen in diesem Land mitten im Bürgerkrieg zu einem guten Ende zu bringen. Er konnte sich keinen Fehler erlauben.
»Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Recherchen. Um also auf Ihre Frage zu antworten, ich kann Ihnen keine Namen nennen. Meine Recherchen konzentrieren sich auf die Ideologen und Anführer der Milizen, die, abgesehen von den Verbrechen, die an den Tutsi auf dem Gebiet von Ruanda begangen worden sind, gemäßigte Hutu in den Camps der Region von Goma verfolgt und ermordet haben.«
»Das sind eine ganze Menge, viele sind ins Exil nach Europa oder Kanada gegangen, andere sind in Kiwu geblieben. Aber ich möchte Sie warnen, diese Verbrecher wissen, dass sie bedroht sind, und sind ständig auf der Hut. Wenn Sie in diesen Kreisen recherchieren, werden Sie große Probleme bekommen.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aber ich habe eine gewisse Erfahrung mit solchen Situationen.«
Phindi Willemse runzelte die Stirn und lächelte: »Das kann ich mir denken.«
Nathan überhörte die Anspielung auf das Hämatom und die Narben in seinem Gesicht.
Die Ärztin stand auf und stellte sich neben das Foto eines lachenden Kindes, das fast die ganze Wand bedeckte, die lediglich verputzt war.
»Ihr Ansatz scheint mir interessant. Diese Männer haben die Situation und die Verzweiflung ihres Volkes schamlos ausgenutzt und verdienen es, denunziert zu werden. Ich bin daher bereit, Ihnen zu helfen, aber Sie müssen mir sagen, wie.«
Wenn er sie jetzt dazu bringen konnte, ihn mit einigen Akteuren der Katastrophe zusammenzubringen, wäre die erste Runde gewonnen. Seine Antwort kam prompt: »Ich möchte mit jeder Person sprechen, die im Juli 1994 in den Lagern gearbeitet hat.«
»In welchen Lagern? Es gab Dutzende.«
»Ich dachte an die wichtigsten …«
»Kibumba, Katalé, Mugunga?«
»Katalé.«
»Die humanitären Teams wechseln ständig, und ich glaube nicht, dass sich in Goma oder in der näheren Umgebung noch irgendein Mitarbeiter einer Nicht-Regierungsorganisation aufhält, der 1994 hier gewesen ist. Was die vor Ort rekrutierten Helfer betrifft, so sind viele in die
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