Im Blutkreis - Roman
etwa eine halbe Stunde Fahrzeit zwischen Kibumba und dem Camp in Katalé, aber Nathan begriff, dass diese Zeitangabe, die für die heiße und trockene Zeit des Jahres richtig sein mochte, in der Regenzeit auf jeden Fall verdoppelt werden musste. Der junge Führer zu seiner Linken fuhr vollkommen gleichmütig
und stumm. Nach einer Stunde und zwei Militärsperren, die Nathan um einige Bündel kongolesischer Francs erleichtert hatten, erreichten sie ein anderes Dorf, sehr viel größer und ausgedehnter als Kibumba. Nathan dachte einen Augenblick, dass dies die einzige Möglichkeit sei, um zum Camp zu gelangen, aber als sie auf einen Marktplatz voller Waren und durchdringender Gerüche kamen, auf dem reges Treiben herrschte, bog Juma nach links ab und fuhr in ein Labyrinth stark ausgefahrener Gässchen hinein.
»Was wollen wir denn hier?«
»Wir werden uns die Genehmigungen besorgen.«
»Was für Genehmigungen?«
»Wenn wir ins Camp wollen, brauchen wir eine.«
Nathan steckte die Hand in seinen Rucksack und zog das gestempelte Papier heraus.
»Ich habe sie. Das ist nicht nötig. Kehr um.«
Juma prüfte das Dokument aufmerksam und erwiderte: »Die hier kommt aus Goma. Wir brauchen eine vom Gebietschef.«
»Warte, ich glaube, du hast mich missverstanden. Ich pfeife auf diese Genehmigungen und auf deinen Gebietschef, die uns den ganzen Tag versauen. Du kehrst jetzt sofort um!«
»Wir kommen nicht darum herum, und außerdem ist es gut, wenn du den Gebietschef kennen lernst.«
»Ach ja? Und warum?«
»Weil er ein ehemaliger Militärangehöriger ist, er war Hauptmann in der Armee. Er leitete die Wachpatrouillen an der Grenze im Juli 1994. Hauptmann Hermès, er weiß eine Menge Dinge …«
Juma parkte neben einem funkelnden 4 x 4, der vor dem einzigen Haus in Massivbauweise des Viertels stand. Ein Würfel aus Stahlbeton, gekrönt von einer riesigen Satellitenschüssel. Zu beiden Seiten der Eingangstür hatte man Sandsäcke aufgestapelt, die den Eindruck vermitteln sollten, man habe sich in dem
Gebäude verschanzt. Sie schlugen die Türen des Jeeps zu und betraten den Bunker.
Hermès Kahékwa, ein fetter und hässlicher Mann, saß gemütlich mit zwei Frauen auf einem abgewetzten roten Samtsofa. Im Fernsehen liefen in einer Endlosschleife Clips mit afrikanischer Musik. Als Nathan die großen braunen Flaschen eines lokalen Bieres sah, die auf dem niedrigen Tisch standen, glaubte er einen Augenblick, dass man ihn erwartete. Aber dann stellte er fest, dass sie bereits leer waren.
»Guten Tag, Messieurs, nehmen Sie Platz.«
Nathan und Juma erwiderten seinen Gruß und setzten sich in zwei Sessel.
»Was verschafft mir die Ehre?«
Juma erklärte den Grund ihres Besuchs.
»Woher kommen Sie, Monsieur?«
»Nathan. Ich bin Franzose.«
»Aaaah, Frankreich. Ich kenne Frankreich, ich war zu einer militärischen Ausbildung dort, 1996. In Poitiers. Ich bin ins Futuroscope gegangen, ich habe ein wunderschönes Unterhemd von dort mitgebracht. Sind Sie einmal dort gewesen?«
»Ich hatte dieses Glück nicht. Entschuldigen Sie, Hauptmann, aber wir haben es eilig.«
Der große, kräftige Mann deutete das leichte Lächeln eines Betrunkenen an und goss den Rest seiner schon weitgehend leeren Bierflasche in sein Glas.
»Sie wünschen also eine Genehmigung … Die Region ist gefährlich, wissen Sie… Im Augenblick treiben die Mai Mai ihr Unwesen …«
»Das ist uns bekannt, Hauptmann, und wir würden Ihnen durchaus unsere Dankbarkeit zeigen«, bemerkte Juma.
»Schön, möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke«, erwiderte Nathan.
»Dann auf Ihre Gesundheit.«
Nathan sah Hermès Kahékwa zu, wie er in großen Schlucken
sein Bier trank. Er war von faszinierender Hässlichkeit. Seine rechte Augenhöhle enthielt einen blinden, gelben, trägen Augapfel, und seine riesige Nase war nur noch eine formlose, klumpige Masse.
»Hauptmann«, fuhr Nathan fort. »Sie waren in der Armee …«
»Das ist richtig, Offizier in der Armee von Mobutu Sese Seko.«
»Sie und Ihre Männer waren im Juli 1994 an der Grenze von Ruanda stationiert, nicht wahr?«
Kahékwa schnalzte mit der Zunge und ließ einen gewaltigen Rülpser hören.
»Sie sind gut informiert.«
»Sie kennen den Wald und die Umgebung von Katalé.«
»Dort habe ich mein Auge verloren, ein Parasit … Onchozerkose. Kleine Fliegen, die einen stechen und …«
»In diesem Fall möchte ich Ihnen ein paar Fragen über bestimmte Vorfälle stellen, die sich damals ereignet
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