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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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Stahlungetüme wie der geländegängige Lkw, in den er gleich einsteigen würde, waren schwer genug, um nicht von einem Schlammstrom fortgerissen zu werden.
    Nathan meldete sich beim Fahrer, der ihn zu dem großen Container schickte, der mit einer khakifarbenen Plane bedeckt war. Offensichtlich war er nicht der Einzige, der sich in das Masisi-Gebiet begeben wollte. Im Schatten der Pakete mit Medikamenten, der Reissäcke, der lebenden Tiere und der Ballen mit allerlei Lebensmitteln entdeckte Nathan eine nicht gerade kleine menschliche Fracht, dunkel und stumm. Männer und Frauen, manche in bunte Stoffe gehüllt, drängten sich da eng aneinander und bildeten eine gestaltlose, schwankende Masse blutleerer Gesichter, trauriger Blicke und ärmlicher Kleidung. Nathan stieg in den Container und suchte sich einen Platz zwischen den heißen Körpern. Zehn Minuten später setzte der Konvoi sich in Bewegung.
     
    Gegen halb sechs Uhr abends erreichten sie Kibumba.
    Nathan sprang vom Laster und ging unter dem weißen Himmel auf den Weiler aus Strohlehmhütten zu. Das kleine in den Vulkanausläufern verlorene Dorf lag auf einem weiten Felsplateau. Während er unter den gleichgültigen Blicken der Erwachsenen auf das Gewirr der Eingeborenenhütten zuging,
umdrängten ihn Dutzende von Kindern und Jugendlichen. Die Jüngsten balgten sich um das Privileg, die Reisetasche tragen zu dürfen. Als der Kreis sich geschlossen hatte, blieb Nathan stehen und fragte, wo sich die katholische Mission befinde. Seine Frage löste allgemeine Heiterkeit aus.
    Da ertönte hinter ihm eine donnernde Stimme: »Haut ab, ihr dreckigen Makaken!«
    Es war ein Weißer mit verwelktem, grünlichem Gesicht und einem Stoffhut auf dem Kopf, der jede Form verloren hatte. Sein Mund war ein schmaler purpurroter Streifen, und die Umrisse seiner Augen schienen mit Kajal tätowiert zu sein. Nathan bemerkte das kleine Holzkreuz, das an einer Lederschnur zwischen seinen mageren Schultern baumelte. Die Menge teilte sich, um den Neuankömmling durchzulassen.
    »Macht Platz! Wer sind Sie?«, fragte der Mann mit dem Kreuz.
    »Nathan Falh, ich komme aus Goma. Doktor Willemse… sind Sie Pater Spriet?«
    »Folgen Sie mir, in der Kirche können wir uns besser unterhalten!«, erklärte der Mann, ohne sich die Mühe zu machen, auf Nathans Frage zu antworten.
    Ein heftiger Donnerschlag ließ die Luft erzittern.
    Nathan folgte ihm zwischen die Hütten. Sie blieben vor einem bescheidenen Gebäude aus blauweißem Zement stehen, das von einem riesigen Kreuz gekrönt wurde. Der Missionar schob einen Stoffvorhang beiseite, der als Tür diente, und forderte Nathan auf, in das Gotteshaus einzutreten.
    »Ich höre«, sagte er und setzte sich auf eine der Bänke seiner Pfarrgemeinde.
    Nathan überlegte einen Augenblick, dann ging er aufs Ganze. Die Zeit war gekommen, die wirklichen Fragen zu stellen.
    »Ich bin Journalist, ich recherchiere über das Verschwinden von Flüchtlingen aus Ruanda im Juli 1994 im Camp von Katalé.«
    »Was meinen Sie mit ›Verschwinden‹?«

    »Ich spreche von Einzelpersonen: Männer, Frauen, Kinder, die sich in Luft aufgelöst haben und von denen man nie wieder etwas gehört hat. Angeblich wurden sie entführt.«
    Pater Spriet hörte aufmerksam zu, die Hände gefaltet und den Kopf leicht zur Seite geneigt.
    »Entführt sagen Sie?«
    »Ich habe zuerst an Vergeltungsakte zwischen Hutu gedacht, aber diese Hypothese habe ich inzwischen wieder verworfen, ich neige eher zu der Annahme, dass …«
    Er sah wieder das Bild des kleinen, schluchzenden Mädchens in Rhodas Armen vor sich. Dämonen mit weißen Händen …
    »Dass …?«
    »Nun, sagen wir, dass einige Hinweise zu der Vermutung Anlass geben, dass diese Fälle von spurlosem Verschwinden nicht unbedingt etwas mit dem Völkermord zu tun haben.«
    »Woran denken Sie?«
    »Es gibt in dieser Sache einen Augenzeugen. Ein kleines Mädchen.«
    »Ein kleines Mädchen … Und was hat dieses Kind gesehen?«
    »Sie sagte, ihr Vater sei von Dämonen mitgenommen worden, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Westen kamen.«
    »Westliche Dämonen … sehr interessant … und warum sollten sie ihren Vater entführt haben?«
    Der ironische Ton des Missionars begann Nathan zu nerven.
    »Wenn ich das wüsste, Pater, wäre ich nicht hier.«
    »Sie wollen es also herausfinden …«
    »Ich möchte diejenigen befragen, die in Katalé geblieben sind.«
    Ein neuerlicher Donnerschlag ließ die Mauern der Kirche erzittern. Als

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