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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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die an die Planen grenzte. Er ging um eine umgefallene Matratze herum und war mit zwei Schritten vor dem breiten, kreisrunden Reißverschluss.
    Er klemmte.
    Mit seinem Dolch zerriss er den Stoff und verbreiterte den Durchgang mit der Hand. Der Lichtkegel der Taschenlampe verlor sich in einem Gang, der leicht nach unten führte. Er kroch hinein, den Kopf voraus, und bewegte sich mit Hilfe seiner Ellbogen vorwärts.
    Diesmal schien die Erde trockener und auch bröckliger zu sein; während er sich vorwärts bewegte, konnte er dünne Sandstrahlen erkennen, die wie Wasser in feinen Kaskaden über die Wände rieselten.
    Er dachte daran umzukehren, als er plötzlich spürte, wie der Humus unter seinem Bauch zu wandern begann und in langen Strömen vor ihm floh.
    Ein Erdrutsch …
    Der Boden des Stollens wogte, rutschte weg unter seinem
Körper und riss ihn nach und nach mit sich. Der Gang war so eng, dass er riskierte, die Decke zum Einsturz zu bringen, wenn er sich umdrehen würde.
    Anhalten. Er musste zum Stillstand kommen.
    Er spannte seinen Körper an und rammte Hände und Füße wie Kletterhaken in die Wände, wühlte wie wild im Schlamm auf der Suche nach einer Wurzel, einem Felsblock, an die er sich klammern konnte. Es gelang ihm, seinen Fall abzubremsen, bis eine neue Welle von Sedimenten ihn mit sich riss. Diesmal rutschte er, ohne etwas dagegen tun zu können. Mit geschlossenen Lidern, an seine Taschenlampe geklammert, ließ er los und sauste die Schräge hinunter, bis er ein paar Meter weiter unten sanft auf einer weichen und knackenden Fläche landete.
    Ein beißender Geruch schlug ihm ins Gesicht.
    Nathan richtete sich auf, und noch bevor er erkennen konnte, was ihn umgab, begriff er, wo er gelandet war.
    Er schrie, so laut er konnte.
    In dem milchigen Licht entdeckte er eine Masse aus verstümmelten Leichen, die die Zeit gleichsam mumifiziert hatte. Ineinander verschlungene Erwachsene und Kinder mit leeren Augenhöhlen, gebrochenen Schädeln und Kiefern, die in einem letzten stummen Schrei geöffnet waren. Galle schoss ihm in die Kehle. Er versuchte aufzustehen, aber mit jedem Schritt versank er etwas mehr in der schwarzen Schicht aus mumifizierter, mit weißlichen Fäden überzogener Haut. Verrenkte Glieder, erhobene Hände schienen sich in einem letzten Aufzucken an ihn zu klammern. Eine Kammer aus Lava und Vulkanasche hatte die Körper vor dem Ungeziefer und der Verwesung geschützt …
    Es gelang ihm, über das Massengrab bis zu der Schräge zu kriechen, die er heruntergerutscht war, seine Fingernägel in die Erde zu krallen und an die frische Luft zurückzukehren.
    Die Höhle der Dämonen war ein Labor für grauenhafte medizinische
Experimente … Mörder hatten das Grauen des Völkermords benutzt, um noch ungeheuerlichere Taten von unbeschreiblicher Bestialität zu verschleiern. Aber in dieser Barbarei wurde eine Wahrheit erkennbar. Die letzten zehn Jahre seines Lebens waren ein Gespinst aus Tod und Finsternis … Er wusste nicht, ob er schuldig oder unschuldig war – eine Gewissheit hatte er jedoch. Jedes der Verbrechen, die er aus der Erde, dem Eis oder der Vergangenheit ausgegraben hatte, waren von denselben Ungeheuern begangen worden.
    33
    Noch am selben Tag waren Nathan und Juma in der Dämmerung wieder in Goma. Da jeder sich mit seinen eigenen Dämonen herumgeschlagen hatte, hatten sie während der Fahrt praktisch kein Wort miteinander gewechselt. Als sie ankamen, hatte ein allgemeiner Stromausfall die Stadt in Dunkelheit getaucht. Die Straßen waren menschenleer, und die Stimmung war äußerst gereizt. Die Rebellen der RCD hatten in jedem Viertel Straßensperren errichtet, um Plünderungen vorzubeugen und die Versuche der regulären Armee von Kinshasa, die Macht zu übernehmen, zu vereiteln. Nathan war verblüfft über den heftigen Kontrast zwischen der ungezwungenen, fast gutmütigen Atmosphäre, die er zurückgelassen hatte, als er nach Norden aufgebrochen war, und der Besorgnis, die in den Bewegungen und Blicken der Kongolesen spürbar war.
     
    Er ließ sich zunächst beim Büro der WHO absetzen, in der Hoffnung, dort die Dokumente vorzufinden, die Phindi Willemse ihm versprochen hatte. Das Büro war geschlossen, aber zu seiner freudigen Überraschung fand er einen an ihn adressierten, dicken Umschlag im Wachlokal. Als er wieder im Starlight
war, verabschiedete er sich von Juma und ging auf sein Zimmer. Er nahm ein Bad, um sich den Schlamm abzuwaschen und den hartnäckigen Leichengeruch

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