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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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es?«
    »Dort hinten«, sagte Jean-Baptiste und zeigte mit dem Finger auf den Fuß des Hügels am Waldrand. »Aber ich warne dich, wer in die Erde hinuntersteigt, wird für immer seine Seele verlieren …«
    Nathan lächelte leicht.
    »Führ mich hin.«
     
    Was man hier »Wald« nannte, war nicht der Dschungel, den Nathan sich vorstellte, mit seinen großen Stämmen, seiner ineinander verschlungenen Vegetation, seinem Moos, seinem Lianenhaar, sondern eine schreckliche und eintönige, weite Fläche langen Schilfs mit spitzen, scharfen Blättern, die einem die Arme zerkratzten und die Kleider zerrissen, ein stinkender Morast, in dem Fliegen und Mücken sich mit dem Blut der Eindringlinge voll saugten. Jean-Baptiste ging voraus und bahnte den Weg mit heftigen Schlägen seiner Machete.
    »Ist schon mal einer hinuntergegangen?«
    »Nein, niemand geht dort hinunter. Es ist gefährlich.«
    »Warum bist du zu Kahékwa gegangen?«

    »Letztes Jahr gab es hier viele Kranke, ein belgischer Doktor ist gekommen, er hat gesagt, das Wasser sei nicht gut, flussaufwärts seien Antilopen gestorben, dadurch sei es vergiftet. Die Leute hier denken, das würde von dem Loch kommen, die Geister seien zurückgekommen. Ich habe Hauptmann Hermès also zusammen mit ein paar Männern gebeten, uns den Ort zu zeigen… um ihn zu verschließen, damit sie nicht mehr herauskönnen.«
    »Ihr habt den Tunnel verschlossen?«
    »Fast, wir haben einen großen Baum gefällt, aber nur die Äste sind draufgefallen.«
    »Holen die Geister noch immer Leute?«
    »Nein, es ist vorbei, sie haben sich beruhigt.«
    »Seit wann?«
    »Seit langem schon, ich habe es aus sicherer Quelle.«
    Diese letzte Antwort markierte den Beginn eines langen, nachdenklichen Schweigens. Jean-Baptiste schlug noch heftiger auf die Vegetation ein, die immer dichter wurde, je tiefer sie in diese grüne Hölle eindrangen. Die Natur hallte erneut von einer Vielzahl gedämpfter Schreie wider, als machte das Leben wieder seine Rechte geltend. Nach einer halben Stunde mühseligen Marsches, der sie nur ein paar Hundert Meter voranbrachte, kamen sie auf eine schmale Lichtung. Jean-Baptiste erklärte, sie seien angekommen, weiter würde er nicht gehen. Zusammen mit Juma kauerte er sich ins hohe Gras und deutete auf einen riesigen Stamm, der aus der Vegetation ragte. Nathan gab den beiden ängstlichen Männern aus Ruanda zwei Drittel der vereinbarten Summe und ging langsam zur Spitze des toten Riesen.
    Dicke, von Würmern zerfressene Äste, die mit Moos und toten Blättern bedeckt waren, versperrten teilweise den Durchgang, aber er konnte die dunkle Öffnung erkennen. Eine Leiter aus entrindeten Zweigen, die durch Stofffetzen miteinander verbunden waren, verschwand in der Dunkelheit. Er untersuchte
das Gewirr auf der Suche nach einem Durchgang. Er würde problemlos hindurchschlüpfen können. Mit einer Hand holte er seine Taschenlampe aus der Tiefe des Rucksacks, dann zog er sein Regencape an und drang in das Gewirr knotiger Äste ein, das zum Eingang des Stollens führte.
    Wer in dieses Loch hinuntersteigt, wird für immer seine Seele verlieren …
    Jean-Baptistes Worte, über die er gelächelt hatte, ließen jetzt sein Blut erstarren. Ein langer Schauder ging durch seine Glieder. Zum ersten Mal seit dem Beginn seiner Nachforschungen wurde Nathan von Angst geschüttelt.
    Einer Angst, die ihm fast den Atem raubte.
    32
    Die Taschenlampe zwischen den Zähnen ließ Nathan sich durch den langen Schacht gleiten, wobei er so wenig wie möglich die Leiter zu Hilfe nahm, um die feste Erde zu erreichen. Als er auf dem schwammigen Boden stand, prüfte er den Zustand des Tunnels im Licht seiner Taschenlampe.
    Der Eingang des Stollens maß nicht mehr als einen Meter sechzig im Durchmesser; seine Wände, ein schwitzender Mörtel aus ockerfarbenem Schlamm und Lavabrocken, waren mit schlecht abgevierten Brettern verkleidet. Das Ganze schien fest genug, um einen Einsturz zu verhindern. Er zog seine Kapuze zurecht, warf einen letzten Blick auf den trüben Himmel und begann seinen Abstieg in die Finsternis.
    Er kam nur langsam voran, mit gebeugtem Körper, und verdrängte die Gedanken, die ihn bestürmten, konzentriert auf die Gefahren dieser Höhle; er spürte den warmen Hauch der Wände, wich dem verfaulten Knüppelholz, das auf dem Boden herumlag, und den schimmernden Wurzeln aus, die überall wie
Krallen hervorragten, die nach seinem verwundbaren Körper griffen. Bald war das Tageslicht vollkommen

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