Im Blutkreis - Roman
haben, wahr ist … Als Arzt des Institut Pasteur und als Staatsbürger habe ich die Pflicht, über eine Angelegenheit von solchem Ausmaß nicht Stillschweigen zu bewahren.«
»Und doch werden Sie es müssen.«
»Ich lasse mich nicht erpressen.«
Nathan erkannte an Derennes schneidendem Ton, dass er sich etwas anderes würde einfallen lassen müssen, um zu bekommen, was er von ihm erwartete. Er unternahm einen neuen Versuch.
»Ich verstehe Ihren Standpunkt, aber ich brauche Ihr Stillschweigen und Ihre Hilfe. Glauben Sie mir, Sie müssen mir vertrauen.«
Etwas in Nathans Ton, ein Unterton von Aufrichtigkeit, der einen deutlichen Kontrast zu seinem bisweilen aggressiven Verhalten bildete, schien den Virologen ins Wanken zu bringen.
»Niemand ist bereit, sich einer solchen Bedrohung auszusetzen. Ein solcher Angriff könnte dramatische Folgen haben… Sie wissen nicht einmal, wo und wann sie ihre Erreger freisetzen wollen. Möglicherweise ist es bereits zu spät… Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da von mir verlangen? Das ist unmöglich …«
Der Virologe bewegte sich auf einem schmalen Grat, er befand sich in einem echten Gewissenskonflikt und konnte ihm jeden Augenblick entgleiten. Aber Nathan hatte Derennes Verwirrung bemerkt und nutzte seinen Vorteil aus.
»Wie lange braucht man, um ein Virus wie das der Spanischen Grippe zu aktivieren oder zu manupulieren?«
»Woher soll ich das wissen? Das hängt von ihren Kenntnissen ab … Von den Mitteln, die sie zur Verfügung haben… Was Sie mir erzählt haben, deutet darauf hin, dass sie nicht mehr im Versuchsstadium sind. Es wird ihnen gelungen sein, Viren wie die Vogelgrippe oder die Schweinepest zu simulieren, einen Erreger, der vielleicht schon bereit ist, die Gene der Spanischen Grippe zu empfangen…«
»Wie lange?«
»Ich weiß es nicht … Wenn Sie mir sagen, dass sie den Stamm seit etwa vier Wochen haben, sagen wir, zwei Monate, vielleicht weniger.«
»Mir bleibt genug Zeit weiterzuermitteln und sie zu stoppen.«
»Allein?«
»Ich wiederhole, das ist die einzige Möglichkeit, an sie heranzukommen.«
»Und dann?«
»Ich werde die Sicherheitsdienste informieren, sobald ich die nötigen Beweise zusammenhabe, sobald ich sie lokalisiert habe.«
Der Virologe ging auf und ab. Er näherte sich dem Fenster und ließ seinen Blick über das Institutsgelände schweifen.
»Das ist reiner Wahnsinn … Nein, ich kann nicht …«
Nathan stand ebenfalls auf und schlug unvermittelt mit der Faust auf den Tisch.
»Professor! Vor knapp einer Stunde haben Sie von dieser ganzen Geschichte noch nichts gewusst. Wenn ich nicht gekommen wäre, hätten Sie nicht die geringste Ahnung von der Existenz dieser Mörder. Vertrauen Sie mir! Das ist die einzige Möglichkeit, ein Massaker zu verhindern.«
Bedrückendes Schweigen. Schließlich drehte Derenne sich zu Nathan um.
»Gut, wenn ich bereit wäre, Ihnen zu helfen, wie sähe mein Beitrag zu Ihren Ermittlungen aus?«
»Wenn die Hypothese, die wir aufgestellt haben, richtig ist, dann wäre es logisch anzunehmen, dass sie bereits zugeschlagen haben. Es würde mir sehr helfen, wenn Sie Ihre Daten der letzten zehn Jahre durchgingen und alle Fälle herauszögen, in denen Bevölkerungsgruppen von nicht identifizierten Viren befallen wurden, die Ihnen verdächtig vorkommen.«
»Und was würde Ihnen das bringen?«
»Wenn diese Recherche etwas ergibt, wird mir das gewiss erlauben, eine Verbindung zwischen den Opfern herzustellen und das Motiv der Mörder zu verstehen.«
Der Wissenschaftler fixierte Nathan.
»Ich werde sehen, was ich finde. Und für Ihre Ermittlungen gebe ich Ihnen zehn Tage. Nicht einen mehr. Danach löse ich den Alarm aus.«
37
Es war beunruhigender als alles, was er sich vorgestellt hatte.
Nathan ließ den Motor des Wagens aufheulen und fuhr den Boulevard Vaugirard entlang in Richtung Tour Montparnasse.
Die Autos, die Fassaden der Wohnhäuser, die ganze Stadt schienen vor seinen Augen zu schmelzen.
Bevor er das Institut Pasteur verlassen hatte, hatte Nathan mit Derenne verabredet, ihn innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden anzurufen. Er hatte dem Virologen gesagt, dass, falls ihm in der Zwischenzeit etwas zustoßen sollte, »eine vertrauenswürdige Person« an seine Stelle treten würde. Nathan hatte sich abgesichert, allerdings ohne Woods Namen preiszugeben. Denn wenn Derenne im Augenblick auch ein wertvoller Verbündeter war, konnte er doch sehr schnell zu einem ernst zu nehmenden
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