Im Blutkreis - Roman
tintengeschwärzten Finger, seine Personenangaben – Julien, Alexandre, Paul Martel, geboren am 17. Januar 1969 in Boulogne-Billancourt als Sohn von Michel, Ingenieur, und Isabelle Martel, ohne Beruf – sowie einen kurzen Bericht gefunden hatte, der beunruhigend genug war, um Nathan zu veranlassen, sich an den Ort des Dramas zu begeben.
Es war am 21. Oktober 1978, am Tag vor den Allerheiligenferien, passiert. Nach Ende des Unterrichts war es vor der École primaire des Ollières in Saint-Clair zu einem Streit zwischen Julien und einem seiner Klassenkameraden, Pascal Deléger, dem Sohn des Bürgermeisters, gekommen. Die beiden Kinder waren auf eine Brücke gegangen, um ihre Meinungsverschiedenheiten auszutragen, aber die Schlägerei hatte ein schlimmes
Ende genommen. Den Zeugen zufolge hatte Julien die Oberhand gewonnen und von Pascal verlangt, sich für seine beleidigenden Äußerungen über seine Eltern zu entschuldigen. Als dieser sich geweigert hatte, hatte Julien den Kopf seines Kameraden mehrmals auf den Bürgersteig geschlagen und erst aufgehört, als eine starke äußere Blutung aufgetreten war.
Zwanzig Minuten später waren ein Krankenwagen und ein Gendarm eingetroffen, und sie hatten das Opfer bewusstlos auf der Fahrbahn liegend vorgefunden. Julien kniete neben ihm. Pascal war in die Notfallstation des Universitätsklinikums in Saint-Étienne gebracht worden und Julien zum Gendarmerieposten, wo er wie ein Schwerverbrecher behandelt worden war. Pascal Deléger lag mit einer Schädelfraktur im Krankenhaus, und Juliens Eltern waren verurteilt worden, dem Sohn des Bürgermeisters Schmerzensgeld zu zahlen…
Nathan verließ die Autobahn und fuhr auf die Kreisstraße 104, die sich zwischen schwarzen und kahlen Talmulden hindurchschlängelte. Obwohl der Frühling bereits seine ersten Fühler ausstreckte, zeigte die Landschaft immer noch Spuren winterlicher Verwüstung und bot ein Bild tiefer Trostlosigkeit. Eine Stunde später erreichte er Saint-Clair, eine triste Arbeitersiedlung, in der sich Häuschen mit schmutzigen, verputzten Wänden und ein paar alte, gesichtslose Mietshäuser aneinander reihten. Nathan fuhr langsamer, um eine junge Frau nach dem Weg zu fragen. Die Schule lag gegenüber dem Rathaus, kaum fünfhundert Meter entfernt. Er fuhr durch den ruhigen Ort, parkte seinen Wagen und ging zu Fuß zur Schule. Ein Backsteingebäude mit großen Fenstern mitten in einem betonierten Hof ohne Bäume und Spielplatz. Es war siebzehn Uhr, mit etwas Glück war noch jemand da.
Ein neues Problem stellte sich: Ohne Genehmigung würde er keine Auskunft erhalten. Er überlegte, wie er es anstellen könnte, und drückte dann auf den Knopf der Sprechanlage.
Eine Stimme tönte aus dem Lautsprecher: »Ja?«
»Guten Abend, ich bin Privatdetektiv, ich würde gerne mit dem Schulleiter sprechen.«
»Privatdetektiv? Einen Moment bitte.«
Die Direktorin, eine kleine, rundliche Mittfünfzigerin mit gerade geschnittenem braunem Haar, öffnete ihm das Tor, einen bunten Schal über den Schultern.
»Sie haben Glück«, sagte sie. »Normalerweise bin ich um diese Zeit schon weg. Wir haben eine außerplanmäßige Besprechung mit dem Elternbeirat um siebzehn Uhr dreißig… Wird es lange dauern?«
»Nein, nur ein paar Minuten.«
Einen Augenblick später gingen sie über den Pausenhof und traten in das Hauptgebäude. Die Frau schien zu zögern, dann beschloss sie, Nathan in ein Klassenzimmer zu führen.
»Es ist komisch…«, sagte sie glucksend. »Ich habe noch nie … Sie sind nicht von der Polizei, nicht wahr? Sie sind Detektiv? Sie machen Beschattungen und so was?«
»In gewisser Weise«, erwiderte Nathan kurz angebunden.
»Gut«, sagte sie munter. »Was kann ich für Sie tun?«
»Es ist nicht sehr aufregend. Also, ich arbeite im Auftrag einer Kanzlei für Ahnenforschung im Rahmen einer Erbschaftssache. Ich bin auf der Suche nach dem Begünstigten… es scheint, dass er 1978 auf diese Schule gegangen ist.«
Die Direktorin zog die Augenbrauen hoch.
»1978! Da haben wir ja schon mal ein Datum… Ich war damals nicht hier, ich bin erst 1986 gekommen… Wie heißt dieser Schüler?«
»Julien Martel.«
Sie verzog erneut das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Nein, das sagt mir nichts.«
»Vielleicht haben Sie ein Archiv, das Auskunft darüber gibt, bis wann er in Ihre Schule gegangen ist?«
»Leider ist die Schule 1983 umgezogen, als man begonnen
hat, die Region aufzuwerten, wir haben keinerlei Unterlagen
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