Im Bus ganz hinten
Betreuer, die mich immer so genervt
hatten. Das Einzige, was ich hin und wieder durch die dünnen Wände hören konnte, waren die streitenden Nachbarn in der Wohnung rechts
neben mir. Sonst nichts. Und auf eine seltsame A rt und Weise fühlte ich mich jetzt doch ein wenig einsam. Das wunderte mich, schließlich
hatte ich mich auf meine eigene Wohnung gefreut. Was ich nicht bedacht hatte, war der entscheidende Nachteil des A lleinseins: In der Stille
konnte ich mich plötzlich nur noch auf mich selbst konzentrieren.
In den nächsten Wochen wurde mir die Einsamkeit immer unangenehmer. Sonderlich viel Besuch bekam ich schließlich auch nicht. Der
Einzige, der regelmäßig bei mir vorbeischaute, war der Mensch, der im Rahmen des betreuten Wohnens für mich verantwortlich war: Harald.
Einmal pro Woche sollte er zu mir kommen und nach dem Rechten sehen. »Hey, wie geht’s?«, fragte er, als er das erste Mal in meiner Tür
stand. Wir redeten ein bisschen, und er erklärte mir, wann ich meine Miete zu bezahlen und wie ich mich zu verhalten hätte. A ußerdem konnte
ich mir einmal im Monat mein Geld bei ihm abholen. Harald war ziemlich in Ordnung. Endlich mal ein normaler Typ, der mir nicht ständig auf
den Sack ging und mir relativ viele Freiheiten ließ.
Doch obwohl es mir in meiner neuen Wohnung wirklich sehr gefiel, weckten die Stille und die fehlende A blenkung etwas in mir, womit ich gar
nicht mehr gerechnet hatte: Ich bekam wieder eine Panikattacke. Ich lag auf meiner Matratze und starrte wieder einmal in Richtung
Zimmerdecke, da fühlte es sich plötzlich so an, als ob jemand mein Herz zerquetschen würde. Ich schreckte hoch und fasste mir mit der Hand
an die Brust. A ber es hörte einfach nicht auf. In meinem Schädel begann es zu rauschen. Ich musste raus aus der Wohnung – und zwar
schnell! Hektisch schnappte ich mir meinen Rucksack, stopfte ein paar Sprühdosen hinein und lief aus dem Haus, auf die Straße, ins Licht.
Die Panikattacken kamen von nun an wieder öfter, und so kam es, dass ich fast jede Nacht auf der Straße war. Und obwohl die Züge
inzwischen wesentlich besser bewacht waren als früher, waren sie noch immer mein Lieblingsziel zum Sprühen.
Die kriegen uns nie!
Einigen Kumpels von mir ging es ähnlich. A uch sie zogen im Dunkeln lieber mit mir um die Häuser, als zu pennen. Die beste Stelle zum
Sprühen war immer noch der S-Bahnhof Schöneberg – aber um dort hinzukommen, musste man erst mal über den Friedhof am Innsbrucker
Platz. Ich fand es ziemlich unheimlich, nachts an den Gräbern vorbeizulaufen, da ich nach meiner früheren Erfahrung mit dem Tanz der Teufel
die A ngst vor Geistern nie wieder losgeworden war. Für mich war der Weg über den Friedhof immer der blanke Horror!
War man endlich an den ganzen Grabsteinen vorbei, konnte man durch ein Loch im Zaun gucken und ausspionieren, ob jemand da war und
die Gleise bewachte. Ich wartete immer so lange, bis die Luft rein war. Eigentlich war es ab drei Uhr nachts hier am besten, weil die
sogenannten Checker dann verschwunden waren. A ber leider hatte ich es in der letzten Zeit mit dem Sprühen derart übertrieben, dass die
Bullen das Lay-up jetzt noch wesentlich krasser überwachten. Ich war geradezu süchtig nach dem Sprayer-Kick. In der Szene war ich längst
kein Unbekannter mehr, die Leute hatten den Namen »Fler« in der ganzen Stadt gelesen, und ich wollte dafür sorgen, dass sich daran so bald
nichts änderte.
Eines A bends rief ich meinen Kumpel Spok an, und wir trafen uns, als es gerade erst dunkel wurde. Eigentlich war das viel zu früh und zu
gefährlich, aber ich hatte mittlerweile schon so viel Erfahrung im Sprühen, dass ich es versuchen wollte. Spok und ich kletterten also
zusammen auf das S-Bahn-Gelände, auf dem die Zugführer nach Betriebsschluss ihre Wagen abstellten. Zwei S-Bahnen standen bereits da –
bereit, von uns besprüht zu werden. »Komm, wir nehmen den«, flüsterte ich Spok zu und zeigte auf einen Wagen an der rechten Seite. Wir
stellten uns auf einen Steg neben die Gleise und holten unsere Dosen raus. »Ey, gib mir mal dein Schwarz«, sagte ich zu Spok – aber das
konnte er schon gar nicht mehr hören. Mit einem riesigen Windstoß rauschte eine S-Bahn an uns vorbei. Wir standen bestenfalls einen Meter
davon entfernt. Mein Herz rutschte mir in die Hose. »Scheiße. Ich hab gar nicht dran gedacht, dass die Bahnen noch fahren«, sagte Spok und
war ganz bleich im Gesicht.
Mir war
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