Im Bus ganz hinten
kam
ich mit einem nagelneuen Pullover der Marke Carlo Colucci an. Der Pulli war schwarz, und das Logo war vorn groß daraufgedruckt. Den hatte
ich mir bei Peek & Cloppenburg für 250 Mark gekauft. Woher ich so viel Geld hatte? Das war meine Kohle vom Sozialamt. Gut auszusehen
war mir wichtiger, als etwas zu essen auf dem Teller zu haben, also investierte ich in Klamotten. »Was hast du denn da an?«, fragte A nis mich
skeptisch, als er mich mit meinem neuen Teil sah. Ich antwortete stolz: »Carlo Colucci. Das wird der krasseste Trend in Berlin. Glaub mir.«
»Sieht irgendwie voll prollig aus«, fand er. Das sah ich anders. Der klassische Hip-Hop-Look war out. Hängende Hose auf halb acht konnte ich
nicht mehr sehen. Ich war eben ein Styler. »Wenn du durchstarten willst, dann wirst du etwas an deinem A ussehen verändern müssen«,
erklärte ich ihm. »Wenn du aussiehst wie alle anderen A ffen, dann stichst du doch nicht raus!« A nis schüttelte nur mürrisch seinen Kopf.
Er bastelte erst mal fleißig weiter an seiner Rapkarriere. Er wollte eine eigene CD rausbringen. Durchs Internet hatte er schon Kontakte mit
anderen Rappern aus Hannover aufgenommen. Sie schrieben sich die ganze Zeit und heckten gemeinsam ein Projekt aus. »Ich fahr zu denen
nach Hannover«, eröffnete A nis mir eines Morgens zum Frühstück. Er hatte gerade seine Lehre als Maler und Lackierer bei Meister A mrouche
abgeschlossen, und deshalb war es für ihn der richtige Zeitpunkt durchzustarten. »Kommst du mit?«, fragte er mich. Ich fand’s natürlich
ziemlich geil. Hip-Hop statt A usbildung? Ich überlegte nicht lange: »Klar fahre ich mit.« Eigentlich hätte ich an dem Tag zur A rbeit gemusst.
A ber ich hatte keinen Bock mehr, erst recht nicht auf die A bschlussprüfungen, die mir bevorstanden. Mein einziges Problem war, dass ich
nicht wusste, wie ich dem strengen Meister A mrouche meine Entscheidung verkünden sollte. Ich nahm zwar den Telefonhörer in die Hand
und wählte die Nummer, aber als ich seine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, legte ich gleich wieder auf. Ich brachte es
einfach nicht übers Herz. Trotzdem ging ich nicht in die Werkstatt, sondern setzte mich lieber mit A nis in den Zug nach Hannover. Und die
A rbeiten an der CD waren ein voller Erfolg! Schon zwei Wochen später kamen wir mit einem A lbum in der Tasche zurück. Es hieß King of
Kingz, und bei zwei Songs hatte ich sogar mitgerappt. A nis nannte sich von diesem Zeitpunkt an übrigens Bushido …
Ganz allein …
Endlich hatte ich meine eigene Wohnung. Das Jugendamt hatte sie mir organisiert. Das Gute war: Ich durfte sie allein beziehen und hatte
endlich meine Ruhe vor all den anderen Opfern. Das Schlechte: Sie bot nicht viel mehr Komfort als ein Rattenloch. Das Ein-Zimmer-A partment
war 20 Quadratmeter groß, die Fenster waren alt und undicht. Die ganze Zeit pfiff der Wind durch meine Bude, weshalb es im Winter ziemlich
kalt war. Die Küche war bei meinem Einzug total schmierig: Staub hatte sich mit altem Fett vermischt und klebte in allen Ritzen. Es roch
säuerlich. Im Bad traute ich mich vor lauter Ekel gar nichts anzufassen, die Fliesen waren komplett verschimmelt, und es stank erbärmlich.
Zum ersten Mal in meinem Leben besorgte ich mir deshalb Putzzeug und begann alles zu säubern. Ich schrubbte wie wild. Der Schweiß stand
mir auf der Stirn, als ich zum zehnten Mal die Küche polierte. A ber schließlich wollte ich ja hier leben, da musste ich dann auch als Mann mal
putzen. Wer sonst?
Möbel standen keine in der Wohnung, und ich hatte kein Geld, um wirklich auf Einkaufstour zu gehen. Die wenige Kohle, die ich hatte,
investierte ich lieber in Klamotten, Farbdosen und Musik. Letztendlich schleppte ich bloß eine alte Matratze in mein A partment – und einen
Gettoblaster, ein echtes Billigteil von A ldi, an das ich aber immerhin meinen Technics-Plattenspieler anschließen konnte. Mehr brauchte ich
nicht. Den Rest des Raumes nahm mein Vorrat an Sprühdosen in allen Farben ein, die überall verteilt standen. Und weil die Wand im Flur
nicht verputzt war, verschönerte ich sie standesgemäß mit einem Graffiti. Ich markierte mein Revier: Jetzt war es meine Wohnung!
A ls ich endlich mit dem Umzug fertig war und mich das erste Mal auf meine Matratze fallen ließ, war ich irritiert von der Stille. Plötzlich waren
da keine schreienden Heimkinder mehr, die lautstark über den Gang tobten. Und auch keine brüllenden
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