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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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nur ihre SMS beantworten. Die Technik sollte vor Einsamkeit schützen. Wer alleine ist und sich einem sozialen Netzwerk anschließt, tut nichts, als ein uraltes Problem mit modernen Mitteln anzugehen. Eine kleine Geste, und schon trete ich in Verbindung mit etwas, das mit Gefühl zu tun hat.
    Stattdessen schiebe ich es auf.
    Ohne James stürzte ich in die tiefste Melancholie. Meine Abschlussarbeit geriet ins Stocken, und dieser Wirbelwind von Lady Montagu erwies sich als Randfigur der englischen Literaturgeschichte.
    Aber dieses Wort schwirrte mir im Kopf herum.
    Serendipität.
    Ich versuchte, mehr darüber herauszufinden, aber das Webster Dictionary reduzierte es auf die knappe Definition: »Gefühl der Euphorie, das man empfindet, wenn man eine Sache entdeckt, die man gar nicht gesucht hat, weil man eigentlich etwas anderes suchte; oder auch Bereitschaft, etwas anderes zu finden, als man gesucht hat, eine Offenheit für Welten, Visionen und Reflexionen also, die man nicht erwartet hat.«
    Wenig, dem ich mich mit meiner üblichen Unbesonnenheit widmen könnte. Und doch, ich war in die Falle gegangen.
    Plötzlich begeisterte ich mich für ein Wort, das nicht nur ein Wort war, sondern eine echte Begabung. Und eine Überlebensstrategie angesichts der tödlichen Langeweile meiner Tage. Über den heroischen Zahnarzt, der die Narkose erfunden hat, fand ich kein Wort, aber in einem Bändchen über die »Entdeckungen, die Geschichte machten«, stieß ich auf wahre Helden der Serendipität, wie etwa Christoph Kolumbus, der auf der Suche nach Indien Amerika entdeckte, dann Alfred Nobel, der zufällig das Dynamit erfand, und Alexander Fleming, dem Entsprechendes mit dem Penicillin geschah. Selbst die Post-its – aber das entdeckte ich erst Jahre später, als mir die Suche nach Serendipität längst zur Gewohnheit geworden war – verdanken sich der Verzweiflung von Mister Arthur Fry, der die losen Lesezeichen in seinem Gebetsbuch satthatte und auf den Klebstoff zurückgriff, den sein Forscherkollege Spencer Silver zehn Jahre zuvor erfunden, aber nie benutzt hatte, um kleine bunte Quadrate damit zu bepinseln und in seine Bücher zu kleben. Nach all diesen Entdeckungen stieß ich schließlich auf Horace Walpole, den vierten Grafen von Orford, in den ich mich sofort verliebte, ohne meinen Professor davon zu unterrichten, damit er ihn nicht als Randfigur der englischen Literaturgeschichte abtat. Ich nehme an, dass ein Großteil meiner Altersgenossen das Buch idiotisch finden würde, aber mir gefiel es sehr.
    Horace hatte ein Wort erfunden, das Wort, und zwar am 28. Januar 1754, als er am Schreibtisch in der Bibliothek seiner gotischen Villa saß, um die Korrespondenz zu erledigen. Er benutzte es in einem Brief an seinen Vetter Horace Mann, dem er eine orientalische Geschichte erzählte, die ansonsten dem Vergessen anheimgefallen wäre.
    Ich habe mal eine Geschichte namens Die drei Prinzessinnen von Serendip gelesen. Auf ihren Reisen entdeckten die drei Hoheiten durch Zufall oder wegen ihrer Klugheit ständig irgendwelche Dinge, die sie gar nicht gesucht hatten. Zum Beispiel bemerkte eine von ihnen, dass vor ihnen ein Esel die Straße entlanggegangen sein musste, der auf dem rechten Auge blind war, da irgendjemand das Gras nur auf der linken Seite abgefressen hatte, wo es viel weniger saftig war – begreifst du jetzt, was Serendipität ist?
    Dank James war ein Wort in mein Leben geraten, eine Art Samen, den der Wind herbeigetragen hatte. In den nächsten drei Wochen fraß ich mich durch einen Teil der Briefe des schreibwütigen Horace hindurch (insgesamt waren es zwanzig Bände!), um schließlich drei Wochen später, nachdem ich bei einem Polaroidhändler die letzten Pfund ausgegeben und die Bank im Russel’s Square Park fotografiert hatte, wieder daheim zu landen. Im Gepäck hatte ich Unmengen von Notizen über »Zufällige literarische Überschneidungen oder Die Anwendbarkeit des Begriffs der Serendipität auf das literarische Surfen«. Das Thema verlangte einen dreifachen Salto mortale bei meinem Professor, der mir allerdings Monate später die – aktuell überflüssige – Bestnote mit Auszeichnung verlieh.
    Als ich am Flughafen auf den Koffer wartete, saß ich auf dem Boden zwischen Teenagern, die sich die Wartezeit vertrieben, indem sie sich salbeigrüne Harrod’s-Tüten um die Ohren

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