Im Café der moeglichen Traeume
schlugen. An der Wand forderte mich ein Plakat zum Erwerb einer Handcreme auf, wobei Sarah, die schon in den glücklichen Jahren damals von der Werbebranche besessen war, den Spruch für »viel zu sentimental« gehalten hätte.
Sehnsucht nach Zärtlichkeit
Nach den Händen
Von Mama, Oma, Schwester, Freundin
Sehnsucht nach Zartheit
Ich wusste nicht, was der Urheber dieses Plakats für ein Verhältnis zu seiner GroÃmutter hatte, und Sarah hätte über einen solchen Kitsch nur gelacht, aber mir kam, während das Gepäckband vor mir seine leeren Runden drehte, plötzlich der unvergessliche Sommer 1982 wieder in den Sinn. Damals hatte meine GroÃmutter beschlossen, dass der Moment gekommen sei, um nach Rom zu fahren.
Meine GroÃmutter liebte ihre groÃe Handtasche mit den Blumen und den Kunstlederstreifen, aber es schien ihr unhöflich, das Geschenk ihrer Nachbarin zu ignorieren, überreicht aus Dankbarkeit für eine Reihe von Briefen, die den Hausverwalter dazu veranlasst hatten, endlich die tropfenden Leitungen zu reparieren, die schon seit Monaten ihren Mittagsschlaf störten. »Das ist wie bei deiner Einkaufskarre«, erklärte die Nachbarin entzückt und zeigte ihr das futuristische schwarze Ding mit den vergoldeten ReiÃverschlüssen, dem durchsichtigen Plastikfach für die Reisedokumente und dem versenkbaren Griff, den man nur antippen musste, und schon schoss er wie ein Teufelchen empor. Für die Fliegerei hegte meine GroÃmutter keine Sympathien, da sie der Ãberzeugung war, dass man mit dem Zug bestens überall hinkomme, aber Rom müsse man einfach mal gesehen haben, bevor man alt werde. Mit Ausnahme der weiÃen Locken, die sie sich zu färben weigerte, wirkte sie überhaupt nicht alt auf mich, und die Idee, die Zenturionen vor dem Kolosseum zu sehen, im Restaurant zu essen und eine ganze Woche lang mit ihr im Hotel zu schlafen, versetzte mich in helle Begeisterung.
Wir brachen auf.
Unvergesslich, meine GroÃmutter in ihrem Kleid mit den violetten Blümchen auf sandfarbenem Grund, den Sandalen mit den quadratischen Absätzen, dem Strohtäschchen und den vor Aufregung tränenden Augen. Beim Check-in wurde sie von Panik ergriffen, starrte misstrauisch in den Tunnel, der ihren Koffer verschluckte, und war keineswegs beruhigt, als die Stewardess ihr versicherte: »Sie werden bei der Ankunft alles wiederfinden, seien Sie unbesorgt, Signora. Eine gute Reise.« Kurze Zeit später befanden wir uns über der brodelnden Wolkenmasse. Aus dem Fenster schien man ihre Zipfel berühren zu können, die sich wie Zuckerwatte gen Himmel reckten. Mäusegesichter waren darunter, gähnende Nilpferde und Wolken, die so rund waren wie Tabletten.
Meine GroÃmutter nutzte die Gelegenheit, um über die Zukunft zu sprechen.
Sie holte weit aus.
»Ist dir aufgefallen, Olli, dass die Tiere oft in den Himmel schauen? Auch ihr Kinder träumt mit dem Blick in den Himmel. Die Sterne sind ebenfalls da oben, und auch die alten Götter hat man immer dort vermutet, und sollte das Paradies existieren, kann es gar nicht woanders sein. Das Universum ist so reich an unvorstellbaren Geheimnissen, dass man, wenn man auf eine Frage eine Antwort sucht, nur auf diese groÃe blaue Tafel schauen muss, um sie zu finden.«
Getränke- und Snackangebote der Stewardess ignorierte sie und vertraute mir an, dass sie eines Tages auch dort sein würde und nur hoffe, sich eine weiche Wolke wie jene da aussuchen zu können. Von dort würde sie mir im Bedarfsfall Ratschläge erteilen. Damals war meine Vorstellung vom Tod noch sehr unbestimmt, und die einzigen Leichen, die ich gründlich studiert hatte, waren die Gevierteilten aus dem Anatomiebuch meiner Eltern. Spontan schien mir die Wolke ein guter Ort zu sein, um sich auf dem verworrenen Weg in die Ewigkeit dort niederzulassen. Bei meiner GroÃmutter klang allerdings alles plausibel, und so verdanke ich es ihren Auslassungen über den Wolken, dass ich allmählich zu der Ãberzeugung gelangte, nie unter der Erde landen zu wollen. Ihre Vorstellung vom Paradies gefiel mir, und so blieb es in meiner Fantasie stets der tiefblaue, unendliche Raum, in dem wir zusammen glücklich sein würden.
Ich schoss ein Polaroidfoto aus dem runden Fenster. Da ich nur zwei Filme mithatte, wollte ich keine Bilder vergeuden, aber diese sonderbare Wolke war zu wichtig, um sie mir entgehen zu
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