Im Dienst des Seelenfängers
in den Annalen aufgenommen zu wer- den.
Mit dem Gardebataillon war auch der Unterworfene gekommen, den man den Gehenkten nannte. Er war unwahrscheinlich lang und dürr. Sein Kopf war auffällig nach einer Seite ge- neigt. Vom Biß der Schlinge war sein Hals angeschwollen und rotblau. Sein Gesicht hatte den aufgedunsenen, starren Ausdruck eines Würgeopfers angenommen. Meiner Vermutung nach hatte er ziemliche Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Er war der fünfte Unterworfene, den ich nach Seelenfänger, dem Hinker, Formwandler und Wisper gesehen hatte. Nachtkriecher hatte ich in Lords verpaßt, und trotz der Nähe hatte ich auch Sturmbringer noch nicht zu Gesicht bekommen. Der Gehenkte unterschied sich von ih- nen. Für gewöhnlich trugen die anderen irgend etwas, das Kopf und Gesicht verdeckte. Mit Ausnahme von Wisper hatten sie Äonen unter der Erde verbracht. Das Grab war nicht sanft mit ihnen umgegangen.
Seelenfänger und Formwandler waren zur Stelle, um den Gehenkten zu begrüßen. Der Hauptmann stand in der Nähe, hatte ihnen den Rücken zugewandt und hörte gerade dem Be- fehlshaber der Gardisten der Lady zu. Ich trat unauffällig näher und hoffte, das eine oder an- dere erlauschen zu können.
Der Gardist war sauer, weil er sich dem Hauptmann zur Verfügung stellen mußte. Nieman- dem aus den regulären Truppen gefiel es, Befehle von einem Söldnerfrischling aus Übersee annehmen zu müssen.
Ich schlenderte näher an die Unterworfenen heran. Und stellte fest, daß ich kein Wort ihrer Unterhaltung verstehen konnte. Sie sprachen TelleKurre, und diese Sprache ist seit dem Fall der Unterdrückung aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden. Leicht berührte eine Hand die meine. Erschrocken sah ich die großen braunen Augen von Darling, die ich seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Sie vollführte rasche Fingergesten. Mitt- lerweile habe ich ihre Zeichen gelernt. Sie wollte mir etwas zeigen. Sie führte mich zu Ravens Zelt, das nicht weit von dem des Hauptmanns aufgestellt war. Sie krabbelte hinein und kam mit einer Holzpuppe wieder zurück. Liebevolle Handwerkskunst hatte zu ihrer Herstellung beigetragen. Ich konnte mir die Stunden nicht vorstellen, die Raven dafür geopfert hatte. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, woher er sie genommen hatte. Darling gestikulierte nun langsamer, damit ich ihr leichter folgen konnte. Noch war ich nicht allzu gewandt. Sie sagte mir, daß, wie ich es schon geahnt hatte, Raven diese Puppe gemacht
hatte und daß er gerade eine Garderobe zusammennähte. Sie glaubte, daß sie einen echten
Schatz besaß. Wenn ich an ihr Dorf dachte, in dem wir sie gefunden hatten, konnte ich nicht bezweifeln, daß dies das schönste Spielzeug war, das sie jemals besessen hatte. Irgendwie schon erhellend, wenn man an Raven denkt, der einen so bitteren, kalten und schweigsamen Eindruck macht und dessen einziger Messergebrauch so düsterer Art zu sein scheint.
Darling und ich unterhielten uns einige Minuten lang. Ihre Gedanken sind erfreulich gerade- heraus und stellen einen erfrischenden Kontrast zu einer Welt dar, die mit hinterhältigen, ausweichenden, unvorhersehbaren, ränkeschmiedenden Menschen angefüllt ist. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, ihr Druck lag irgendwo zwischen freundschaftlich und feindselig. »Der Hauptmann sucht nach dir, Croaker.« Ravens dunkle Augen schimmer- ten wie Obsidian unter einer Viertelmondsichel. Er tat so, als ob die Puppe unsichtbar sei. Ich erkannte, daß es ihm gefällt , als knallharter Bube aufzutreten. »In Ordnung«, sagte ich und verabschiedete mich mit den Händen. Ich hatte Spaß daran, von Darling zu lernen. Sie hatte Spaß daran, mir etwas beizubringen. Ich glaube, es vermittelte ihr ein Selbstwertgefühl. Der Hauptmann wälzte Überlegungen darüber, daß alle ihre Zeichen- sprache lernen sollten. Sie würde eine wertvolle Ergänzung unserer traditionellen, aber unzu- reichenden Schlachtsignale darstellen.
Der Hauptmann warf mir einen düsteren Blick zu, als ich bei ihm eintraf, aber er ersparte mir eine Predigt. »Deine neue Hilfe und deine Versorgungsmittel sind da drüben. Zeig ihnen, wo’s langgeht.«
»Ja, Sir.«
Die Verantwortung ging ihm allmählich an die Nieren. Er hatte noch nie so viele Männer be- fehligt, sich keinen so widrigen Umständen gegenübergesehen, keine so unmöglichen Befehle erhalten und sich keiner so Ungewissen Zukunft stellen müssen. Von seinem Standpunkt sah es so aus, daß wir geopfert werden würden, um Zeit zu
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