Im Dienste der Comtesse
fragte sogar, ob ihn jemand gesehen hätte, aber das war nicht der Fall. Ich glaube, er ist überfallen worden, so wie der frühere Comte. Vielleicht wurde ihm dabei seine Kleidung gestohlen, sodass er für die Polizei ein Unbekannter blieb.“
„Es war bestimmt ein furchtbarer Schock, als man die Leiche des vorherigen Comte nach Hause brachte“, warf Pierce taktvoll ein. „Damit rechnet doch kaum jemand, dass der Hausherr von gemeinen Wegelagerern ermordet wird.“
„Eigentlich hat mich das weniger überrascht“, gestand Laurette. „Ich habe es zwar nicht regelrecht erwartet, um Gottes willen, nein. Aber er bestand immer wieder darauf, nachts allein auszugehen – ziemlich unschicklich für einen Mann seines Standes.“
„Ich habe gehört, ein Polizeiinspektor hätte seine Leiche nach Hause gebracht?“
„Das war ein echter Skandal“, bemerkte Laurette. „Madame Petit war ganz außer sich wegen dieser Demütigung.“
„Das hört sich nicht so an, als sei es leicht, für sie zu arbeiten“, meinte Pierce.
Laurette verzog das Gesicht. „Was Madame Petit betrifft, so dreht sich ihre ganze Welt nur um die Gilocourts. Und sie ist die Einzige, die wirklich dazu fähig ist, ihnen zu dienen. Nach dem Tod des Comte hat sie mir nicht einmal gestattet …“ Sie verstummte, als Benoît plötzlich auftauchte. Er warf ihr einen missbilligenden Blick zu, ehe er sich an Pierce wandte.
„Ihre Herrin ist bereit zum Aufbruch“, teilte er ihm hochmütig mit. „Lassen Sie sie nicht warten.“
Pierce erhob sich betont langsam, doch auf eine scharfe Bemerkung verzichtete er lieber. Er war zwar nie bei Bertier in Paris zu Gast gewesen, sodass die Gefahr, von einem der Bediensteten wiedererkannt zu werden, eher gering war. Trotzdem wollte er nicht mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig auf sich ziehen.
Die Rückkehr in ihr früheres Zuhause hatte Mélusine ziemlich aufgewühlt. Das Beten in der Kapelle war die erstbeste Ausrede, die ihr eingefallen war, um ihre Abreise hinauszuzögern, damit Pierce sich bei den anderen Bediensteten umhören konnte. Doch sobald sie dort war, setzte sie sich mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf in eine Bank und dachte an die Jahre zurück, die sie in diesem Haus verbracht hatte.
Zu Anfang hatte sie sich sehr unbeholfen und verlegen gefühlt. Vor der Hochzeit war sie Bertier nur zweimal begegnet, und es war schwer gewesen, ihr Eheleben mit einem völlig Fremden zu beginnen. Aber es gab auch ein paar glückliche Erinnerungen. Bertier hatte ihr bereitwillig ein Atelier für ihre künstlerischen Aktivitäten zur Verfügung gestellt, und ein paar Monate nach der Hochzeit bekamen sie Besuch von einem seiner alten Freunde aus England.
Mélusine fühlte sich mit Bertiers Freunden nicht immer wohl. Mit dem Marquis de Saint-André verstand sie sich gut, aber die meisten Freunde von Bertier waren zwanzig Jahre älter als sie, und es hatte kaum Gesprächsthemen zwischen ihnen gegeben. Sir Henry und seine Frau waren da ganz anders gewesen. Mélusine hatte ihre Anwesendheit sehr genossen und empfand eine große Traurigkeit, als sie wieder abgereisten. Sir Henry war zwar Engländer, stammte aber von französischen Hugenotten ab, die Ende des vergangenen Jahrhunderts nach England geflohen waren, als Frankreich damit begann, die Hugenotten wegen ihres protestantischen Glaubens zu verfolgen.
Mélusine war katholisch erzogen worden, aber es erschien ihr nicht richtig, dass Menschen wegen ihrer Religion leiden sollten. Jedenfalls hatte sie Sir Henry gemocht, der sehr gut Französisch sprach. Seine Frau war sogar Französin, sodass einer unbeschwerten Unterhaltung nichts im Wege stand. Die beiden gaben sich geradeheraus und sehr freundlich, und nicht ein einziges Mal hatten sie Mélusine das Gefühl vermittelt, ihnen standesgemäß unterlegen zu sein, wie das bei Bertiers adeligen Freunden aus Frankreich so oft der Fall war.
Vielleicht lag es daran, dass Sir Henry selbst nicht zum Adel gehörte. Mélusine durchschaute die englische Rangordnung nicht so ganz, aber offenbar hatte man Sir Henry wegen seiner großen Verdienste im Bankwesen zum Ritter geschlagen, wobei der Titel nicht auf seinen Sohn vererbbar war. „Dazu hätte man mich zum Baronet machen müssen“, erklärte er während eines damaligen Gesprächs. „Aber Felix kann sich die Ritterwürde selbst verdienen, wenn er will.“
Mélusine hatte nur höflich gelächelt. Sie hatte viel mehr Spaß an dem pausbäckigen Fünfjährigen
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