Im Dienste der Comtesse
nicht.“
Mélusine war vollkommen verblüfft. Thérèse hatte Bertiers Leiche hergerichtet. Aufgrund ihrer lebenslangen Stellung als ergebene Dienerin der Familie Gilocourt hatte sie darauf bestanden. Mélusine überlegte, ob die Haushälterin diese Aufgabe tatsächlich selbst ausgeführt oder sie wegen der vielen Sonderrechte, die ihre Stellung mit sich brachte, einem anderen übertragen hatte.
Unter diesen Umständen war es möglich, dass es Pierre eher gelingen würde als ihr, herauszufinden, was geschehen war.
„Ich würde gern noch einen Augenblick in der Familienkapelle beten“, sagte sie. „Ich bin sicher, mein Diener würde sich über eine kleine Erfrischung freuen, während er auf mich wartet.“
Sie warf Pierre einen Blick zu und fragte sich, ob er wohl verstanden hatte, was sie von ihm wollte. Seine Miene war unergründlich, doch er nickte kaum merklich mit dem Kopf.
Mit den Bediensteten zu reden, kam Pierces eigenen Interessen sehr entgegen. Da Mélusine sicher wissen wollte, ob Thérèse Petit tatsächlich nicht im Haus war, vergewisserte er sich als Erstes, dass dieses stimmte. Danach ließ er sich viel Zeit damit, den mit Wasser verdünnten Wein, den man ihm angeboten hatte, zu trinken und ein paar der Dienstmädchen zu becircen.
„Arbeiten Sie schon länger für Madame?“, fragte eine junge Frau, die sich als Laurette vorstellte.
„Erst seit kurzem“, antwortete Pierce. „Seit sie nach Paris zurückgekehrt ist. Ist sie eine gute Herrin?“
„O ja!“ Laurette lächelte. „Sie ist freundlich und höflich.“ Plötzlich verengten sich ihre Augen zu Schlitzen, und sie versetzte Pierce einen Stoß gegen den Oberarm. „Passen Sie bloß auf, dass Sie ihr gut dienen!“
„Au!“ Pierce rieb sich den Arm in gespielter Empörung.„Wenn Sie so von ihr schwärmen, warum arbeiten Sie dann nicht weiterhin für sie?“
„Das hätte ich auch getan, wenn sie mich darum gebeten hätte“, gab Laurette zurück. „Aber ihr Vater hat sie so schnell fortgebracht. Die Arme war völlig durcheinander, bestimmt war ihr gar nicht richtig bewusst, wie ihr geschah.“
„Hat sie irgendeinen von den anderen Bediensteten mitgenommen?“, fragte Pierce weiter. „Was ist mit diesem Diener, der sie auch frisiert hat – Jean-Baptiste hieß er wohl?“
„Jean-Baptiste?“ Laurette rümpfte die Nase. „Er ist mit uns hier geblieben. Sie hätte ihn ohnehin nicht haben wollen, da bin ich mir sicher, selbst wenn die Möglichkeit dazu bestanden hätte.“
„Warum nicht?“, fragte Pierre. „Hat er sie irgendwie beleidigt? Jetzt, wo ich ihr an seiner Stelle zu Diensten bin, möchte ich seine Fehler auf keinen Fall wiederholen. Können Sie mir dazu etwas sagen, chérie ?“
„Ich weiß nicht, ob er der Comtesse konkret etwas getan hat“, erwiderte Laurette. „Er hielt sich nur einfach für etwas Besseres. Er war ein Findelkind, das von Mönchen großgezogen wurde, aber er glaubte fest daran, dass sein Vater ein Adeliger war. Ziemliche Standesdünkel konnte man ihm nachsagen, allerdings ließ er sich in Madames Gegenwart nichts davon anmerken. Trotzdem mochte sie ihn wohl nicht besonders. Mit mir hat sie sich immer viel unterhalten, über ganz alltägliche Dinge. Aber mit Jean-Baptiste redete sie nur, wenn es unbedingt nötig war.“
„Warum hat sie ihn dann behalten?“
„Der Comte hatte ihn als Hochzeitsgeschenk für Madame eingestellt“, erklärte Laurette.
„Also musste sie ihn ertragen, damit ihr Mann nicht gekränkt war?“, vermutete Pierce.
„Ich glaube schon. Nun, ein Gutes hat diese schreckliche Zeit wenigstens gebracht – Madame hat jetzt Sie anstelle von Jean-Baptiste. Kümmern Sie sich bloß gut um sie. Eine bessere, freundlichere Herrin werden Sie nirgends finden.“
„Ich werde mein Bestes tun“, versprach Pierce und verneigte sich leicht. „Dient Jean-Baptiste weiterhin dem jetzigen Comte?“
„Ich weiß nicht.“
„Warum nicht?“, entfuhr es ihm schärfer als beabsichtigt, und Laurette machte ein verwirrtes Gesicht. „Es tut mir leid, mig nonne “, wiegelte er ab. „Ich war nur überrascht, dass Sie etwas nicht wissen.“
„Nach dem Tod des vorherigen Comte war er noch ein paar Monate da“, berichtete Laurette. „Dann verschwand er vor einiger Zeit, ganz plötzlich und ohne seine Kleidung. Das war tagelang das Hauptgesprächsthema im Haus. Er hatte nie gesagt, er würde fortgehen, und es hatte auch niemand gehört, dass der Comte ihn entlassen hätte. Der Comte
Weitere Kostenlose Bücher