Im Dienste der Comtesse
Motte gar vor Gericht gestellt und für schuldig befunden werden, drohte ihm durchaus die Hinrichtung. Es gab viele einflussreiche Leute, die ihm einen Gefallen schuldeten, aber auch solche, die ihm seinen Erfolg neideten und nur zu gern seinen Untergang miterleben wollten.
Unter diesen Umständen gab es für La Motte nur eine Möglichkeit. Er musste aus England fliehen und mit seiner Familie ins Exil gehen, ehe man ihn gefangen nehmen konnte. Pierce presste die Zähne aufeinander. Er würde nicht zulassen, dass etwas Derartiges geschah. Er musste den Erpresser und seine möglichen Komplizen finden und sie zum Schweigen bringen. Erst dann konnte er seinen persönlichen Wünschen nachgehen.
Es war das erste Mal, dass Mélusine seit Bertiers Tod ins Hôtel de Gilocourt zurückkehrte. Ihr Herz schlug schneller, als die Kutsche durch den großen Torbogen in den Hof vor dem stattlichen Haus einfuhr. Es war von Bertiers Vorfahren als angemessene Residenz für eine vornehme Adelsfamilie entworfen worden und sollte ihren Status, ihren Reichtum und ihren Einfluss widerspiegeln. Selbst in diesen unruhigen Zeiten, in denen das Haus wie eine mutwillige Provokation wirken konnte, war der Eingang nach wie vor bewacht von mit Hellebarden bewaffneten Lakaien in prunkvollen Livreen.
Während der zwei Jahre ihrer Ehe konnte sich Mélusine hier als Hausherrin bezeichnen, aber sie hatte sich nie recht heimisch gefühlt. Ihr war nur allzu bewusst gewesen, dass sie Bertiers viel jüngere, bürgerliche zweite Ehefrau war. Er heiratete sie, weil er einen Erben brauchte. Den hatte sie ihm nicht geschenkt, und obwohl er sie mit zuvorkommender Höflichkeit behandelte, war ihr Ansehen dadurch im Haushalt eher gering geblieben.
Manchmal fragte sie sich, ob Bertier sich in dieser Umgebung zu Hause gefühlt hatte. Fast sein ganzes Erwachsenenleben hatte er keinen Kontakt zu seinem Vater, und erst nach dessen Tod war er in diese Residenz zurückgekehrt. Er hatte viele der Bediensteten übernommen, aber die meisten von ihnen waren für ihn Fremde, als er einzog. Jetzt gehörte das Haus Séraphin, der die Dienerschaft wiederum von Bertier übernommen hatte.
Die Kutsche stoppte, und kurz darauf wurde Mélusine die Tür aufgehalten. Unerwartete Erleichterung durchströmte sie beim Anblick Pierres, der ihr beim Aussteigen behilflich war. Nach ihrem Gefühlsausbruch am Vorabend fühlte sie eine leichte Verlegenheit, als sie ihn am Morgen wiedersah, und er hatte sich äußerst reserviert gezeigt, als er ihr das Haar für diesen Besuch richtete. Sie befürchtete, in seiner Wertschätzung gesunken zu sein, und wenn sie wegen der Rückkehr in ihr früheres Zuhause nicht so nervös gewesen wäre, hätte sie sicher versucht, mit ihm zu reden und ihn wieder freundlicher zu stimmen.
Trotz ihrer festen Überzeugung, dass Pierre sie irgendwie verurteilte, war sie doch froh, dass er bei ihr war. Von ihm ging eine beruhigende Direktheit aus. Und auch wenn sie besorgt war, dass er sie missbilligte, so hatte er ihr gegenüber keine hämische Bemerkung gemacht oder sie mit unterschwelliger Verachtung behandelt.
„Madame, wir fühlen uns geehrt, dass Sie uns wieder einmal besuchen.“ Der maître d’hôtel , einst Mélusines maître d’hôtel , verneigte sich vor ihr. „Ich bedauere, aber der Comte ist nicht anwesend. Er ist einer der Abgeordneten bei den Generalständen in Versailles.“
„Ich dachte mir schon, dass er nicht da sein würde“, erwiderte Mélusine. „Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Und ich hoffe, Sie sind bei guter Gesundheit, Benoît?“
„Vielen Dank, Madame, es geht mir ausgezeichnet.“ Er verneigte sich erneut. „Ich werde dem Comte ausrichten, dass Sie Ihre Aufwartung gemacht haben.“
„Tun Sie das. Und nun würde ich gern mit Thérèse Petit sprechen“, verlangte Mélusine forsch. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihr war ein wenig übel, aber sie hoffte, dass man ihr das nicht anmerkte. Die stumme Entschlossenheit der Haushälterin, insgeheim die wahre Herrin des Hauses, hatte Mélusine oft das Leben schwer gemacht.
Zu ihrer Überraschung wirkte Benoît plötzlich beunruhigt, er schien sich wegen ihrer Bitte ausgesprochen unbehaglich zu fühlen. „Ich bedauere erneut, Madame, aber sie ist nicht hier.“
„Nicht hier? Wo ist sie denn?“
„Ihre Schwester ist erkrankt. Der Comte hat Thérèse großzügigerweise Urlaub gegeben.“
„Wann kommt sie zurück?“
„Es tut mir leid, Madame, das weiß ich
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