Im Dienste der Comtesse
wichtig, auch wenn es sie allen Mut kostete, es auszusprechen. „Gehen Sie nicht fort, ohne mir vorher Bescheid zu sagen“, flüsterte sie.
„Mélusine …“ Er klang erschüttert.
Sie legte ihm die Hand über den Mund. „Ich weiß, dass Sie von mir gehen werden. Aber sagen Sie mir, wann. Und lassen Sie mich nicht im Ungewissen darüber, wo Sie sind. Ob Sie verletzt sind. Ich könnte es nicht ertragen, wenn man auch Ihre Leiche zu mir bringt …“ Ihre Stimme brach, als sie daran dachte, wie sie am Tag der Stürmung der Bastille auf ihn gewartet hatte.
„Großer Gott.“ Er drückte sie fester an sich. „Mélusine … bitte, weinen Sie nicht.“
Sie fand seine sichtliche Verzweiflung über ihren Kummer seltsam tröstlich – und sie lächelte ihn unter Tränen an. „Ich weine, wann ich will. Das ist meine eigene Entscheidung.“
„Nicht, wenn ich Ihnen wehgetan habe.“
„Auch da kann ich entscheiden, ob ich mir von Ihnen wehtun lasse“, sagte sie und versuchte erneut, sich aus seiner Umarmung zu lösen. „Ich weiß sehr gut, dass Sie Geheimnisse vor mir haben. Es muss einen Grund geben, warum Sie so unbedingt mein Diener werden wollten, dass Sie eigens das Frisieren gelernt haben. So war es doch, nicht wahr?“
„Ja“, gab er zu. „Versuchen Sie doch nicht dauernd, sich aus meinen Armen zu winden!“
„Warum nicht? Sie waren es schließlich, der gesagt hat, es würde keine weiteren Küsse mehr geben.“
„Und Sie waren es, die das Gegenteil beschlossen hat.“
Sie erstarrte vor Erstaunen. „Woher wussten …“
Er verschloss ihr den Mund mit seinen Lippen. Nach kurzem Zögern schlang sie fest die Arme um ihn. Eine Woge von Leidenschaft und Hoffnungslosigkeit überflutete sie. Sie glaubte trotz ihrer Benommenheit zu spüren, dass seine Verzweiflung ebenso groß war wie ihre. Sie wusste, warum sie so mutlos war – aber welchen Grund hatte er?
Als der Kuss endete, lehnte sie sich weiterhin an Pierre und wartete, bis ihr Herzschlag sich wieder etwas beruhigt hatte. „Was ist es?“, flüsterte sie.
„Was ist was?“ Er hatte die Handschuhe ausgezogen und strich ihr nun mit der bloßen Hand über das Haar.
„Dieses Drängen in Ihrem Innern, das Sie umtreibt?“
Er hielt in der Bewegung inne. „Sie sind eine kleine Hexe“, rief er aus.
„Das bin ich nicht! Sollte das eine Beleidigung sein?“ Sie war sich nicht sicher – freute es sie, ihn aus der Fassung gebracht zu haben, oder kränkte es sie, eine Hexe genannt worden zu sein?
„Nein. Das heißt nur, dass ich noch nie einer Frau mit einer so gefährlich genauen Beobachtungsgabe begegnet bin wie Ihnen.“
„Das hört sich gut an.“ Sie fühlte sich erstaunlich geschmeichelt.
„Hm.“ Er klang weniger überzeugt. Plötzlich umrahmte er ihr Gesicht mit den Händen, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. „Ich werde nicht fortgehen, ohne es Ihnen vorher mitzuteilen“, sagte er. „Das verspreche ich.“
Tränen brannten in ihren Augen, während sie ihn anlächelte. Er hatte ihr das Versprechen gegeben, um das sie ihn gebeten hatte – aber er hatte auch ihre Befürchtung bestätigt, dass er fortgehen würde.
Nachdem sie wieder aufgesessen waren, ritten sie ein paar Meilen schweigend nebeneinander.
„Sind Sie wirklich aus Amerika zurückgekommen, weil Ihre Mutter und Ihre Schwester Sie brauchten?“, fragte sie plötzlich.
Er sah sie an. „Es wäre vielleicht zutreffender, wenn ich es so formulieren würde: Ich kehrte aus Amerika zurück und meine Mutter und meine Schwester waren auf mich angewiesen“, erwiderte er schließlich.
„Also war das nicht zur Gänze gelogen?“
„Nein.“
„Was ist mit der Duchesse de la Croix-Blanche? Waren Sie jemals ihr Diener?“
Pierre atmete tief durch. „Nein“, gab er zu.
„Warum hat Sie Ihnen dann ein Empfehlungsschreiben mitgegeben?“ Mélusine starrte ihn an. „Das hat sie gar nicht“, rief sie. „Sie haben es selbst geschrieben! Kennen Sie die Duchesse überhaupt?“
„Ich habe schon mal mit ihr gesprochen“, räumte er ein. „Flüchtig.“
„Das ist ja unerhört! Unmöglich! Das ergibt keinen Sinn! Warum dieser ganze Umstand, nur um mein Diener zu werden?“
„So viel Umstand war das gar nicht“, verbesserte er sie. „Ich nahm an, Sie würden die Handschrift der Dame nicht kennen, daher war es ziemlich leicht, dieses Schreiben aufzusetzen.“
Mélusine war fassungslos. „Aber warum? Warum wollten Sie mein Diener werden?“ Gereizt stellte sie fest,
Weitere Kostenlose Bücher