Im Dienste der Comtesse
nicht im Traum einfallen“, versicherte Saint-André.
„Können Sie reiten?“, wandte sie sich an Pierre.
Er schmunzelte.„Wahrscheinlich besser als frisieren. Wie weit ist es bis dorthin?“
„Nur wenige Stunden. Bei schönem Wetter ist es ein sehr angenehmer Ausritt. Zu Beginn unserer Ehe hat Bertier mich oft dorthin mitgenommen. Wir haben auf dem Landsitz gespeist, und meist sind wir am frühen Abend wieder nach Paris zurückgeritten.“ Sie lächelte ein wenig traurig. „Ich habe auch ein paar glückliche Erinnerungen an meine Ehe.“
Mélusine war nicht überrascht, dass Pierre ein ausgezeichneter Reiter war, und noch weniger überraschte es sie, dass er sich als Anführer ihrer kleinen Expedition betrachtete. Sie entschieden sich für Mietpferde, die der Kutscher ihnen besorgt hatte, und Pierre hatte beide Tiere gründlich geprüft, ehe sie aufgebrochen waren. Während sie durch Paris kamen, hatte er sie und ihr Pferd genau im Auge behalten, aber sie passierten das Stadttor ohne Zwischenfälle und ritten schon bald unter einem grünen Blätterdach die Landstraße entlang.
Die einzigen Laute, die die Stille durchbrachen, waren das Zwitschern der Vögel und der Hufschlag der Pferde. Paris mit seiner Gewalt und seinen Kämpfen schien einer anderen Welt anzugehören. Mélusine seufzte vor Vergnügen. Sie freute sich zwar nicht auf das Gespräch mit Thérèse Petit, und mittlerweile war sie so ungeübt im Reiten, dass ihr anderntags alle Muskeln wehtun würden, aber im Moment war sie einfach nur glücklich, zwei Stunden lang mit Pierre in einer wunderschönen Umgebung allein zu sein.
Lächelnd drehte sie sich zu ihm um. Er sah angestrengt nach vorn, ein harter Zug lag um seinen Mund. Eine düstere Vorahnung begann ihre zerbrechliche Zufriedenheit zu überschatten. Schon am vergangenen Tag hatte sie eine zunehmende Rastlosigkeit an ihm wahrgenommen. Äußerlich hatte er sich kaum verändert, aber manchmal war sie fest davon überzeugt, dass er nur mit Mühe seine Ungeduld und sein Bedürfnis vor ihr verbarg, ganz woanders zu sein und etwas ganz anderes zu tun.
Sie hatte ihm gesagt, sie würde ihm eine einwöchige Probezeit einräumen. Damals war sie noch davon ausgegangen, dass die Entscheidung, ob er blieb oder entlassen werden sollte, ganz bei ihr liegen würde. Jetzt wusste sie, er würde die Entscheidung treffen. Er hatte ihr gestanden, seine Hochzeit wäre ein Fehler gewesen, er hätte sich durch die Bindung an seine Ehefrau eingeengt gefühlt. Zu dem Zeitpunkt war sie skeptisch gewesen und hatte sich gefragt, ob er vielleicht seine Trauer überwinden wollte, indem er sich einredete, er wäre froh, wieder frei zu sein. Mittlerweile war sie gewillt zu glauben, dass er tatsächlich von Natur aus so gehetzt und unruhig war wie er behauptet hatte.
Selbst wenn sie seine Anspannung nicht gespürt hätte, so hatte diese sich doch unübersehbar auf sein Pferd übertragen. Es tänzelte unruhig, aber Pierre fiel das nicht auf. Er ritt, als wäre er mit dem Tier verwachsen, eine Hand ruhte auf seinem Oberschenkel, die andere hielt die Zügel.
Die einwöchige Probezeit war vor zwei Tagen abgelaufen. Einerseits wusste Mélusine so viel über ihn – andererseits wiederum überhaupt nichts. Er war kein Friseur. Das hatte sie von Anfang an geahnt. Er hatte zugegeben, Kapitän eines Freibeuterschiffs gewesen zu sein. Immer wieder hatte Saint-André ihn wie einen Ebenbürtigen behandelt, und das allein hatte schon ihre Neugier geweckt. Der Marquis hatte viele liberale Ideen, aber er stammte aus einer vornehmen Familie uralten Geschlechts. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich beim Frühstück mit Paul oder dem Kutscher ähnliche Wortgeplänkel lieferte wie mit Pierre.
Wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte sie beinahe glauben können, die beiden Männer würden sich schon kennen. Aber das ergab keinen Sinn. Aus welchem Grund hätten sie das vor ihr verheimlichen sollen? Bestimmt hatten die Umstände von Saint-Andrés Befreiung aus der Bastille ihre Freundschaft beschleunigt.
Sicher war sie sich, dass Pierre und Saint-André in ihrer Abwesenheit Gespräche führten – und vielleicht sogar Entscheidungen trafen. Sie fühlte sich gekränkt und verletzt über die Möglichkeit, dass die beiden sie aus ihren Unterredungen ausschlossen, aber noch weit mehr jagte ihr das Angst ein. Sie hasste es, wenn Männer geheime Entscheidungen trafen, die ihr eigenes Leben verändern konnten.
„Sie
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