Im Dreieck des Drachen
Träumereien gehabt und einen langweiligen Job an einer Arbeitsvermittlung für Sekretärinnen angenommen und war eine noch langweiligere zweite Ehe eingegangen. Karens ältere Schwester Emily war nach der Highschool in die kleine Stadt Moose Jaw gezogen, mit Zwillingen im Bauch.
Karen jedoch hatte zu viel von der Wanderlust ihres Vaters geerbt, um sesshaft zu werden. Zwischen Jobs als Bedienung im Flying Trout Grill und ein paar kleinen Stipendien hatte sie es fertiggebracht, ein Vorexamensstudium an der Universität von Toronto zu absolvieren, dem ein Examensstudium in Britisch-Kolumbien gefolgt war. Also war es für keinen, der sie etwas näher kannte, eine Überraschung, dass es Karen Grace letztlich ans andere Ufer des Pazifiks verschlagen hatte. Dennoch hatte sie die Tatsache, dass ihr Vater sie einfach verlassen hatte, etwas gelehrt – jeden Monat schickte sie einen Stapel Schecks heim zu ihrer Mutter. Obgleich sie vielleicht das Blut ihres Vaters geerbt hatte, musste sie sich nicht ebenso herzlos benehmen.
Ein Ruf vom Ruderhaus lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Yonaguni!«, schrie der Kapitän über das Brüllen des Motors hinweg. Er zeigte über die Backbordseite zu einer großen Insel hinüber, um deren Südküste das Fischerboot gerade einen weiten Bogen schlug.
»Da ist sie«, sagte Karen und beschattete sich mit der Hand die Augen. »Die Insel Yonaguni.«
»Ich sehe nichts. Bist du …«
Dann war das Boot endgültig um die Felsen der Insel herum – und sie tauchten auf, kaum weiter als hundert Meter von der Küste entfernt und eingehüllt in den morgendlichen Dunst: zwei Pyramiden, die hoch über den Wellen aufragten. Die terrassenförmigen Seiten waren nass von Algen. Als das Boot näher kam, ließen sich weitere Einzelheiten erkennen. Zwischen den Stufen der Pyramiden kletterten weiße Kraniche umher und pickten gestrandete Seeigel und Krabben aus den Trümmern.
»Sie sind wirklich «, sagte Karen.
»Das ist nicht alles«, meinte Miyuki voller Ehrfurcht.
Während das kleine Boot weiter die Insel umrundete, teilten sich die dichten Nebel, und die Aussicht wurde besser. Auf der anderen Seite der Pyramiden erhoben sich Reihen korallenverkrusteter Säulen und Bauten ohne Dächer über die Wellen. In der Ferne stand die Basaltstatue einer in Gewänder gekleideten Frau hüfttief im Meer, eingehüllt in Seetang, einen steinernen Arm gehoben, als wollte sie die beiden Frauen um Hilfe anrufen. Noch weiter entfernt erstreckten sich Schuttberge und zerbrochene steinerne Obelisken weit in den Pazifik hinein.
»Mein Gott!«, rief Karen bestürzt aus.
Zusammen mit den Drachen war eine ganze uralte Stadt aus dem Meer gestiegen.
3
TRÜMMER
25. Juli, 12.15 Uhr
82 Seemeilen nordwestlich des Enewak-Atolls,
Zentralpazifisches Becken
JACK HATTE ES sich auf der Brücke der Deep Fathom im Kapitänssitz gemütlich gemacht und die nackten Beine auf einen Sessel vor sich gelegt. Er trug einen weißen Bademantel aus Baumwolle über einer roten Nike-Badehose. Es war schon am Morgen nicht gerade kalt gewesen, und jetzt war es noch wärmer geworden. Das Ruderhaus war zwar mit einer Klimaanlage ausgestattet, aber er hatte sie gar nicht eingeschaltet, sondern genoss die feuchte Hitze.
Eine Hand hatte er auf das Steuerrad des Schiffs gelegt. Zwar fuhr die Fathom mit Autopilot, seit sie am gestrigen Tag die Stelle verlassen hatte, an der die Kochi Maru untergegangen war, aber er fand es in gewisser Hinsicht tröstlich, eine Hand auf dem Rad ruhen zu lassen – eine Folge seines Misstrauens gegenüber Automatik. Er hatte lieber alles unmittelbar unter Kontrolle.
Er kaute an einer Zigarre, die ihm aus dem Mundwinkel hing. Eine kubanische El Presidente. Rauch kringelte sich träge zu dem offenen Fenster hinüber. Hinter ihm ertönte aus einem CD-Player leise Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur. Mehr wollte er nicht: das offene Meer und ein gutes Schiff, mit dem er darauf fahren konnte.
Aber das sollte nicht sein. Nicht heute.
Er warf einen Blick auf die Anzeige des Northstar-800- GPS . Mit ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit sollten sie ihr Ziel in etwa drei Stunden erreicht haben.
Er stieß eine Rauchwolke aus und sah zum Oberdeck seines Rettungsschiffs hinaus. Ihm war klar, weswegen man es angefordert hatte, um bei der Suche nach dem Wrack von Air Force One zu helfen. Die Fathom war der nächstgelegene Rettungskreuzer mit einem Tiefsee-Tauchboot an Bord, und sie waren vertraglich verpflichtet, ihn bei einem
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