Im Dreieck des Drachen
Gesicht leicht gerötet. »Hat Spaß gemacht. Ein Glück, dass ich diese Tragetasche gratis bekommen habe, als ich das Time Magazine abonniert habe.«
Beide Frauen brachen in so heftiges Gelächter aus, dass ihnen Tränen in die Augen traten.
Karen ging zum Liegeplatz zwölf voraus, wo sie ein kleines Fischerboot entdeckte. Auf dem Zwanzig-Meter-Holzschiff türmten sich Kisten mit roten Kreuzen darauf. Zwei Männer lösten bereits die Leinen, weil es gleich losgehen sollte. Karen eilte hin und winkte mit dem Arm. »Ueito!« Wartet!
Einer der Arbeiter warf einen Blick zu ihr herüber und schrie einem anderen auf dem Schiff etwas zu. Ein ergrauter Japaner verließ das Steuerrad und ging zum Schiffsheck, wo er auf sie wartete. Er bot ihnen eine Hand und half ihnen an Bord.
»S-Samo uns hat geschickt«, sagte Karen gebrochen auf Japanisch.
»Weiß ich«, erwiderte der alte Mann auf Englisch. »Die Amerikanerin.«
»Eigentlich bin ich Kanadierin«, korrigierte sie ihn.
»Ist dasselbe. Ich muss das Schiff in Fahrt bringen. Ich habe schon zu lange gewartet.«
Karen nickte und nahm ihre Tasche ab. Sie und Miyuki wurden zu einer schmutzigen Holzbank neben einem zusammengelegten Netz geführt. Der Gestank nach Fischinnereien und Blut warf sie fast um.
Inzwischen hatten die beiden Männer der Besatzung die Leinen gelöst und sprangen an Bord. Der Kapitän schrie aus dem Ruderhaus Befehle. Der Motor brüllte auf. Wasser begann zu brodeln, und das Boot schob sich langsam voran. Die Besatzungsmitglieder nahmen ihre Posten in der Nähe des Bugs ein, der eine an Steuerbord, der andere an Backbord, und beobachteten das Wasser vor ihnen. Versunkene Trümmer machten die Bucht gefährlich.
Es war klar, weswegen der Kapitän darauf bestanden hatte, bei Morgengrauen in See zu stechen. Bei ablaufendem Wasser würde die Fahrrinne sogar noch trügerischer werden.
Nachdem sie den Pier hinter sich gelassen hatten, fuhren sie auf die mittlere Fahrrinne der Bucht zu und glitten langsam an einem krummen Pfahl vorüber, an dessen Spitze ein Wimpel schlug. Als Karen einen Blick über die Reling warf, erkannte sie, dass es sich um die Mastspitze eines untergegangenen Seglers handelte. Das Fischerboot mit seinem geringen Tiefgang fuhr um die Wrackteile herum oder darüber hinweg.
Auf der anderen Seite der Bucht loderten noch immer die Brände in der US -amerikanischen Militärbasis, die während der Beben ausgebrochen waren, nachdem unterirdische Tanks aufgerissen waren und die Raffinerie in die Luft geflogen war. Schmieriger, öliger Rauch stieg in den Morgenhimmel. Helikopter umkreisten das Gebiet, die Meerwasser und Sand hochholten und versuchten, damit die Feuer zu ersticken. Bislang hatten sie nur wenig Glück dabei gehabt.
Ein dickbäuchiges Transportflugzeug in militärischem Grau flog mit dröhnendem Motor und in geringer Höhe über sie hinweg. Der Kapitän des Fischerboots schüttelte ihm eine Faust entgegen. Die Präsenz der Vereinigten Staaten hier, insbesondere dieser Basis, war den Einwohnern nach wie vor ein Dorn im Auge. 1974 war ein Abkommen geschlossen worden, das Gelände den Insulanern zurückzugeben, aber bislang war in dieser Hinsicht herzlich wenig geschehen.
Schließlich ließ das Fischerboot die Bucht hinter sich und erreichte offene Gewässer. Ohne den Rauch wurde die Brise frischer. Da sie jetzt das Meer um sich hatten, nickte der Kapitän seinem ersten Maat zu, er solle das Ruder übernehmen, und schlenderte dann zu den beiden Frauen hinüber. »Mein Name ist Oshi«, sagte er. »Ich bringe Sie zu den Drachen. Dann kehren wir vor Sonnenuntergang zurück.«
Karen nickte. »Wunderbar.«
Er streckte die Hand aus, in Erwartung der Bezahlung.
Karen erhob sich und zog eine Brieftasche aus der Innentasche ihrer Jacke. Sie bemerkte, dass der Fischer ihre Waffe anstarrte. Gut. Damit war die Sachlage klar. Sie zählte ihm die Scheine in die Hand, die Hälfte des vereinbarten Honorars, und steckte den Rest in ihre Tasche zurück. »Die andere Hälfte, wenn wir nach Naha zurückkehren.«
Einen Herzschlag lang versteinerte sich das Gesicht des Mannes, wurde finster. Dann murmelte er etwas auf Japanisch, schob sich die Scheine in die Jeans und ging.
Karen setzte sich wieder. »Was hat er gesagt?«
Miyuki grinste. »Er sagt, ihr Amerikaner seid alle gleich. Haltet euch nie an eure Vereinbarungen, also traut ihr auch keinem anderen.«
»Ich bin keine Amerikanerin«, meinte sie erschöpft.
Miyuki tätschelte ihr das
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