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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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ich wußte nicht, ob ich nun den Mord begangen hatte, für den ich verurteilt worden war. Ich wußte nicht, ob ich dieses Kind getötet hatte oder nicht.«
    »Wieso das?«
    »Ich werde Ihnen erklären, wie es dazu kam. Zum fraglichen Zeitpunkt, 1988, trank ich soviel, daß ich, als die Polizei mich verhaftete, mir ehrlich die Frage stellte: Habe ich das Verbrechen begangen? Hélène behauptete, ja, die Polizei behauptete, ja, die psychiatrischen Gutachter behaupteten, ja, und ich? Ich konnte mich an nichts erinnern. Aber ich hatte Angst, daß ich vielleicht völlig außer Kontrolle geraten war und es getan hatte. Ich hatte schon so viele Dinge gemacht, ohne mich daran zu erinnern. Schlägereien. Total verrückte Geschichten. Ich war die Hälfte meiner Jugend in psychiatrischer Behandlung. Ich war sozusagen Stammgast. Und dann, als ich eingesperrt war und meine Entziehungskur hinter mir hatte, fing ich an nachzudenken. Etwas Unbegreifliches war geschehen, und ob ich nun dieses Kind erwürgt hatte oder nicht, es war zu spät, ich konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Ich wollte mein Leben nicht in einer Anstalt verbringen. Ich wollte Hélène Wiedersehen, ich wollte meine Tochter Wiedersehen, ich hatte Angst um meine Tochter. Ich hatte im Laufe der Therapie gelernt, daß Menschen, die in ihrer Kindheit Opfer von Gewaltanwendung waren, häufig dazu neigen, diese Erfahrung andere Menschen büßen zu lassen. Ich habe mein eigenes Leben, und welche Rolle Gewalt darin spielte, überdacht. Auch Hélène hatte eine traumatische Kindheit. Ich wußte, daß sie manchmal zerstörerische Neigungen hatte. Virginie weinte oft grundlos und beruhigte sich erst, wenn ich sie in den Arm nahm …«
    Der Polizeibeamte hüstelt. Tony hält inne und fährt dann fort:
    »Mehrere Male entdeckte ich blaue Flecken auf ihrem Körper, Hélène sagte, sie sei hingefallen. Als ich eines Tages nach Hause kam, trank Hélène einen Whisky und das Baby brüllte. Sie war völlig apathisch. Ich ging zu Virginie und entdeckte, daß eine der Sicherheitsnadeln, mit denen die Windel zusammengehalten wurde, aufgegangen war und die Kleine piekste. Hélène drehte sich zu mir und sah mich teilnahmslos an. »Etwas tut ihr weh«, das war alles, was sie sagte. Ich habe die Nadel mit zitternden Händen entfernt, das Baby beruhigt und mich wütend zu Hélène umgedreht. Sie warf mir vor, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, und meinte, ich sei ein hysterischer Säufer. Ich war fassungslos. Sie ließ die Kleine leiden und warf mir vor, mir, verantwortungslos zu sein! Da packte mich die Wut. Ich habe sie geschüttelt, sie fing an mich zu beschimpfen, sie erging sich in langen Tiraden, sie war außer sich. Wir haben uns geprügelt. An jenem Abend brach ich ihr den Arm. Später meinte sie zu mir, sie wisse nicht, was in sie gefahren sei, wahrscheinlich ein Anfall von Wahnsinn, und daß sie, seit dem Tod von Max, gelegentlich solche Ausfälle habe. Ab dann kam es nie wieder vor, nie wieder.«
    »Max?«
    Wer ist Max?
    »Ihr Sohn. Den sie mit siebzehn Jahren bekam.«
    »Welcher Sohn? Von einem Sohn war bisher nie die Rede!«
    »Natürlich, er ist ja auch tot.«
    »Schön langsam, ich kann Ihnen nicht mehr folgen«, protestierte Gassin.
    »Gut, fangen wir noch mal von vorne an. Als ich Hélène 1986 kennenlernte, machte ich gerade eine Entziehungskur, und sie hatte drei Selbstmordversuche hinter sich. Wir waren in der gleichen Therapiegruppe, und dort erfuhr ich, daß sie mit siebzehn ein Kind bekommen hatte, daß der Vater unbekannt, und der Junge vor zwei Jahren gestorben war. Er muß damals acht Jahre alt gewesen sein. Soweit ich verstanden hatte, war es ein Unfall gewesen. Allem Anschein nach litt sie sehr darunter. Ihrer Meinung nach hätte dieses Kind alles wiedergutmachen, alles Böse, das sie in ihrer Kindheit erlebt hatte, auslöschen können. Und nun war er tot.«
    »Das ist doch unglaublich! Diese Information wurde in keiner der Akten festgehalten!« entrüstet sich Gassin.
    »Haben Sie sie vielleicht nicht nach ihrem Familienstammbuch gefragt?«
    »Sehr witzig! Stellen Sie sich vor, wir haben den Familienstand jeder Person, die in die Mordfälle verwickelt war, überprüft.«
    »Also, dann sehe ich nur eine Möglichkeit: Die Geburt des Kindes ist nicht gemeldet worden.«
    »Aber wie sollte das …«
    »Vielleicht hat sie das Kind ganz allein auf die Welt gebracht und es bei sich behalten, ganz allein für sich. Das wäre typisch für sie.«
    »Und die

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