Im Dunkel der Waelder
mitbekommt. Unglaublich wirksam, dieses Hexobarbital. Sie haben es mir sechs Jahre lang verabreicht. Ich war die Ruhe selbst! Eigentlich hätte sie überhaupt nicht wach werden sollen, aber ich habe es falsch dosiert. Ich war gerade dabei, die Wohnung nach Benoîts Jagdgewehr zu durchsuchen …«
Ach, damit hat Hélène mich am Kopf verletzt …
»… dabei entdeckte ich den Kasten samt Inhalt. Auf einmal wurde sie wach, aber ich konnte nicht einschreiten, denn ich wollte nicht, daß Sie meine Anwesenheit bemerken. Damit Hélène ein Geständnis ablegte, mußte sie überrumpelt werden. Ich wartete, bis Virginie sich dank Ihrer Hilfe befreien konnte, dann habe ich mich, während sie versuchte, die Tür zu öffnen, angeschlichen und ihr eine zweite Spritze gegeben.«
Jetzt wird mir einiges klar. Und ich dachte, sie spielt Verstecken … Da habe ich mich ganz schön dumm angestellt.
Aber wo war sie? Wie hat er es geschafft, daß niemand sie gesehen hat? Der Typ hat anscheinend wirklich einen sechsten Sinn, denn er antwortet mir, als habe er meine unausgesprochene Frage gehört:
»Als sie das Bewußtsein verlor, habe ich sie hinter dem großen Ledersessel, der an der Wand stand, versteckt. Sie standen mit Ihrem Rollstuhl davor, waren sozusagen der Sichtschutz.«
Alles ganz einfach, da muß man keine großen Worte machen. Und was gibt es Normaleres als eine Wohnung in Flammen, in der zwei Leichen verkohlen?
Ich habe noch nicht einmal bemerkt, daß der Aufzug schon fährt. Guillaume flüstert immer wieder mit gepreßt klingender Stimme Yvettes Namen. Die Fahrstuhltür öffnet sich. Wir sind draußen. Es regnet, ein kalter Nieselregen. Schön kalt. Ich spüre auf einmal die Schmerzen an den Stellen, wo ich mich verbrannt habe. Ich höre Sirenengeheul. Ich sehe uns, wie wir vor dem Haus stehen: Tony mit seiner Tochter im Arm, Guillaume, der Yvette trägt und mich, mit Brandblasen übersät. Und mit dieser Sache, von der ich nicht weiß, was es ist, die Tony auf meinem Schoß deponiert hat.
»Ich verständige die Polizei«, sagt Tony mit dieser merkwürdig dumpf klingenden Stimme. »An der Ecke ist eine Telefonzelle.«
»Die Flammen schlagen aus dem Fenster«, sagt Jean Guillaume, nachdem Tony gegangen ist.
Völlig unzusammenhängend fragt er mich:
»Glauben Sie, sie wird durchkommen?«
Ich vermute, daß er von Yvette spricht. Wie soll ich das wissen, ich kann ja nicht einmal ihre Verletzungen sehen?
»Wenn sie das überlebt, heirate ich sie.«
Es ist schön, wenn man Zukunftspläne schmieden kann. Ich dagegen habe das Gefühl, eine gebrechliche alte Frau im Rollstuhl zu sein, die man im Stich gelassen hat. Das einzige, was mir geblieben war, war die Erinnerung an Benoît, und jetzt … habe ich nicht einmal mehr das: Benoît hat mich betrogen, dieser große Teil meines Lebens war eine Lüge. Benoît ist tot, ich bin allein, ich bin um Haaresbreite dem Tod entkommen, meine beste Freundin war eine Kindermörderin, Yvette wird vielleicht sterben … und wir stehen vor einem Haus und hören mit an, wie gerade Benoîts Wohnung abbrennt … Das ist völlig verrückt. Der Krankenwagen ist gleich da, Tony hatte nicht gelogen, er hat ihn tatsächlich gerufen.
»Die Polizei ist schon unterwegs«, berichtet Tony, als er zurückkommt. »Es hatte sie schon jemand alarmiert.«
Sicher der Nachbar aus der unteren Wohnung. Schweigend warten wir, bis der Krankenwagen mit ohrenbetäubendem Lärm eintrifft. Oben in der Wohnung verbrennt gerade Hélènes Leiche … Hätte ich mir jemals träumen lassen, daß Benoîts Wohnung eines Tages als Scheiterhaufen für die Fanstens dienen würde? Er hat Hélène 1993 kennengelernt. Im nachhinein verstehe ich, warum wir uns damals dauernd gestritten haben. Wollte sie Benoît benutzen? Ihn beschuldigen, so wie sie Stéphane beschuldigt hat? Hat sie, weil Benoît tot war, Stéphane zum Sündenbock auserkoren? Benoît. Man hätte meinen Benoît des Mordes beschuldigt! Meinen Benoît, diesen Schuft, diesen Lügner, diesen Ehebrecher. Diesen Dreckskerl!
Der Krankenwagen kommt vor uns zum Stehen. Stimmengewirr. Alle reden durcheinander. Leute rennen aus dem Gebäude, es herrscht das totale Chaos.
»Wir haben lange suchen müssen, die Adresse war nicht korrekt notiert worden.«
»Was ist hier los? Warum steht da ein Krankenwagen?«
»Mein Gott, es brennt! Jacques, es brennt!«
»Wo sind die Verletzten?«
»Verflucht, da oben brennt es! Ruf die Feuerwehr an!«
»Herrschaften, treten Sie
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