Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
erlebt hast, ich meine, abgesehen davon, daß dich ’ne Bouncing Betty erwischt hat?«
»Als ein Dorfoberhaupt die 105er gerufen und gegen seine eigenen Leute hat einsetzen lassen.«
»Sonny Boy und ich waren mit der gleichen Bande Waffenhändler zusammen. Da drunten ging’s zu wie in einer Freiluftirrenanstalt. Die meiste Zeit hab ich nicht gewußt, ob wir an die Rebellen oder an die Regierung verkaufen. Ich war derart weggetreten vom Rum und vom Dope und von meinem eigenen Elend, daß es mir auch wurscht war. Und dann haben wir eines Nachts zu sehen gekriegt, was die Regierung gemacht hat, wenn sie den Indianern Gottesfurcht beibringen wollte.«
Er kniff die Lippen mit der Hand zusammen. Es raschelte trocken, wie Sandpapier, als seine Schwielen über die Bartstoppeln strichen. Er holte Luft und riß die Augen weit auf.
»Die sind da in ein Dorf eingerückt und haben alles umgebracht, was ihnen unter die Augen gekommen ist. Ungefähr vierhundert Menschen. Dort gab’s ein Waisenhaus, das von Mennoniten geleitet wurde. Sie haben niemanden verschont ... die ganzen Kinder ... Mann.«
Er musterte mein Gesicht.
»Hast du das gesehen?« fragte ich.
»Ich hab’s gehört, aus ungefähr ’ner halben Meile Entfernung. Das Geschrei von den Leuten vergess ich nie mehr. Danach hat uns dieser Capitan durch das Dorf geführt. Der Dreckskerl hat sich überhaupt nix dabei gedacht.«
Er steckte sich eine Lucky Strike in den Mund, schirmte sein Zippo mit den Händen ab und versuchte sie anzuzünden. Trocken schabte das Zackenrad über den Feuerstein, worauf er sie wieder aus dem Mund nahm und mit seiner großen Hand umschloß.
»Laß die Vergangenheit ruhen, Clete. Hast du noch nicht genug gebüßt?« sagte ich.
»Wolltest du nicht was über Sonny Boy hören? Drei Wochen später waren wir mit ’nem andern Haufen zusammen. Ich war so weggetreten, daß ich nicht mal mehr weiß, wer die waren. Kubaner möglicherweise, und ein paar Belgier, die für beide Seiten gearbeitet haben. Jedenfalls waren wir auf ’nem Pfad und sind mitten in ’nen Hinterhalt reingelaufen. L-förmig angelegt, mit M-60ern, Granatwerfern, schwerem Gerät. Die müssen in den ersten zehn Sekunden mindestens zwölf Jungs zerfetzt haben. Sonny hat die Vorhut gestellt ... Ich hab’s gesehen ... das war keine Halluzination ... Zwei Jungs neben mir haben’s ebenfalls gesehen ...«
»Wovon redest du überhaupt?«
»Er ist von ’nem M-60 erwischt worden. Ich hab gesehen, wie die Schüsse auf seine Klamotten eingeprasselt sind. Sein Hemd war blutgetränkt, als er zu Boden gegangen ist. Drei Wochen später kreuzt er in einer Bar in Guatemala City auf. Die Rebellen haben ihn danach den roten Engel genannt. Sie haben gesagt, er könne nicht sterben.«
Er nahm einen langen Zug. Die Sonne spiegelte sich wie eine gelbe Flamme in der Flasche.
»Okay, Mann, vielleicht hab ich mir da drunten die Birne verorgelt. Aber ich halt mich von Sonny fern. Ich weiß nicht, wie ich’s erklären soll. Es ist, als ob ihm der Tod auf den Leib geschrieben steht.«
»Klingt, als ob Sonny mal wieder seinen üblichen Schwindel abgezogen hat.«
»Wie ich das abkann, wenn einem jemand anders erzählt, was man mit eigenen Augen gesehen hat. Du erinnerst dich doch noch, was ein am Elastikgurt hängendes M-60 mit ’nem ganzen Dorf anrichten kann? Was ist, wenn ein Typ das auf zehn Meter Entfernung abkriegt? Nein, sag nichts dazu. Ich glaube, ich pack das nicht.«
In der Stille konnte ich das Surren der Autoreifen auf dem Highway hören, der auf Stelzen den Sumpf überspannte. Die sinkende Sonne malte Feuerseen zwischen die Wolken, und dann zog eine Regenbank über die Buchten und die mit Weiden bestandenen Inseln, und schwere Tropfen tanzten in dem gelben Dunst rund um uns. Ich holte das Fallfenstergewicht ein, das ich als Anker benutzte, warf den Motor an und steuerte das Boot zurück zum Deich. Clete öffnete eine weitere Flasche Dixie, griff dann tief in das zerstoßene Eis, stieß auf eine Dose Dr. Pepper und warf sie mir zu. »Sorry, Streak«, sagte er, und zumindest seine Augen sahen aus, als ob er lächelte.
Aber eigentlich hätte ich mich entschuldigen müssen.
An diesem Abend zog ich meine Jogginghose, ein Paar Laufschuhe und ein T-Shirt an und fuhr in Richtung Spanish Lake, hinaus zu der kleinen Gemeinde Cade. Ich kann nicht erklären, warum ich ausgerechnet dort joggen wollte, statt bei meinem Haus im Süden der Stadt um den Bayou zu laufen. Vielleicht deswegen,
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